Georg-Büchner-Preis geht an Elke Erb

Das Ziel ihres Schreibens nennt Elke Erb nicht Kunst, sondern: Lebenskunst. Deshalb lässt sie sich immer wieder auf Neues ein und misstraut gewohnten Konzepten. Sie fällt sich selber ins Wort und schaut, was dann mit dem Wort passiert. Es dreht sich, bis es scheinbar von ganz allein passt. Wenn einer überwintern kann, warum sollte er nicht auch übersommern im Heu? Wenn es ein Lügenmaul gibt, warum nicht auch eine Lügenstirn? Und hört man die Wipfel nicht wippen, wenn der Wind hindurchgeht?
Elke Erb war eine der kühnsten und eigensinnigsten Dichterinnen in der DDR – kühn und eigensinnig ist sie geblieben, auch wenn sie die achtzig nun überschritten hat. Wenn sie ihre Gedichte vorliest, wirkt sie so jung und lebhaft wie eh. Dann blitzt der Witz aus den Augen. Wann, wenn nicht jetzt muss sie endlich den Georg-Büchner-Preis bekommen, den angesehensten Literaturpreis, den das Land vorzuweisen hat.
Der Büchner-Preis für eine ostdeutsche Frau
Ostdeutsch, weiblich, lyrisch, alt: Das klingt nach Defizit und Randexistenz und braucht schon deshalb dringend Aufmerksamkeit! Vor allem aber wird damit das Werk einer Autorin anerkannt, das einzig ist in seiner Art. Ferne Verwandte im Geiste wie Sarah Kirsch, Friederike Mayröcker oder Arno Schmidt mag es geben. Deutschsprachige Avantgarde allemal.
Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung hat mit der Wahl eine weise Entscheidung getroffen. Sie würdigt Elke Erb zu Recht als unverdrossene Aufklärerin. Ihr gelinge es wie keiner anderen, „die Freiheit und Wendigkeit der Gedanken in der Sprache zu verwirklichen, indem sie sie herausfordert, auslockert, präzisiert, ja korrigiert“.
Bei dieser Arbeit lässt sich die Autorin über die Schulter sehen. Falsch: Sie schaut sich selbst über die Schulter. Sie öffnet nicht nur ihr Arbeitszimmer, sondern den Keller und den Fahrradschuppen gleich mit. Von Anfang an kommentiert sie ihr Schreiben. Auch in ihrer überbordenden „Theoriefreudigkeit“ ist sie besonders. Sie zeigt die Spielregeln vor, die sie mit Lust verletzt: Anarchie zeigt sich als Formstrenge, Schroffheit als Eleganz, Willkür als absichtsvolle Poesie. In einem Gespräch mit Christa Wolf lobte sie den Mut zum ungenauen Wort als „eine fast unerreichbare Perfektion moralischer Art“.
Aufgewachsen als Landkind
Viele ihrer Texte entstehen in einem Dorf bei Bautzen, in Wuischke am Czorneboh. Gemeinsam mit ihrem damaligen Mann, dem Dichter Adolf Endler, hatte sie 1970 ein Asyl auf dem Land gesucht, einen Fluchtpunkt jenseits des Berliner Lärms. Sie fand es in der Nähe des deutsch-sorbischen Dichterkollegen Kito Lorenc. Einige Jahre lang verwandelte sich der kleine Ort zum Basislager aufsässiger Bohemiens.
„Man stieg da in Wuischke – eine Schaumgummimatte auf dem Kopf und die Tasche mit dem Tagebuch und den Büchern geschultert – über einen Kuhzaun und kam auf eine weite Wiese, die auf der einen Seite durch einen Bach begrenzt ist. Vis à vis ziehen sich Felder einen Berghang hinan. Dinge, die ich sehe, die ich lese, kann ich dort – mit einem zurechtrückenden Blick – überdenken.“ So Elke Erb in einem Interview mit der Dresdner Literaturzeitschrift Ostragehege. Die Natur ist für die Autorin eine selbstverständliche Gesprächspartnerin. Damit ist sie aufgewachsen als Landkind. Mit elf Jahren, sagt sie, wurde sie in die Stadt gebracht.
Erster Lohn als Landarbeiterin
Auch die Brüche in der Biografie spiegelt die Autorin in ihren Gedichten. „Dieser Tage habe ich erblickt, gefühlt & verstanden, dass in meinem Schreib-Ich das Kind-Ich, die Eifeler Ich-Person, mitspricht.“ Elke Erb wurde am 18. Februar 1938 in Scherbach geboren, einem Dorf in der Eifel, eine von drei Schwestern. 1949 übersiedelte sie mit der Familie nach Halle und lebte zunächst in den Franckeschen Stiftungen. Ihr erstes Geld verdiente sie als Landarbeiterin auf einem Volksgut in der Altmark. Sie studierte Germanistik, Slawistik und Pädagogik und sollte Lehrerin werden.
Doch sie ging gleich als Lektorin zum Mitteldeutschen Verlag, von 1963 bis 1965. Seitdem lebt sie freiberuflich als Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie übersetzte viel aus dem Russischen, unter anderem Gedichte von Marina Zwetajewa und Alexander Blok. 1975 erschien im Aufbau-Verlag ihr erstes Buch in der Edition Neue Texte, kommentiert von Sarah Kirsch. Weitere folgten, und damit wuchs auch die Schar der gleichgesinnten Künstlerfreunde in Berlin.
Jüngere Dichter aus Ost und West scharen sich um sie als Bewunderer: „Elke Erb war, ist und bleibt ausgeflippt, dem Teufel sei´s gedankt“, so Bert Papenfuß. Uwe Kolbe feiert sie als „einsichtsvolle Einschauerin mit ihrem sprühenden, dampfenden, tickenden, wütenden Labor-Elan, mit ihrem Einsprechen, mit ihrer Verweigerung“.
Die Verweigerung musste anderen auffallen. Weil Elke Erb gegen die Ausbürgerung des Bürgerrechtlers Roland Jahn protestierte und mit der unabhängigen Friedensbewegung sympathisierte, geriet sie ins Visier der Staatssicherheit. Erst im Nachhinein wurde bekannt, dass auch einer ihrer engsten Mitstreiter für die Stasi mitschrieb.
Gemeinsam mit Sascha Anderson hatte sie Anfang der Achtzigerjahre eine Sammlung junger ostdeutscher Dichtung vorbereitet. In der Anthologie „Berührung ist nur eine Randerscheinung“ gab sich die „Prenzlauer-Berg-Connection“ zu erkennen mit ihrem Anderssein und Andersdenken. Das Buch durfte im Osten nicht erscheinen und wurde bei Kiepenheuer & Witsch in Köln verlegt. Für Eingeweihte eine begehrte Schmuggelware.
Nie bestsellertauglich - bis jetzt?
Seitdem sind von Elke Erb mehr als 20 Titel herausgekommen, viele im kleinen, feinen Verlag Urs Engeler in der Schweiz. „Kastanienallee“ war das erfolgreichste ihrer frühen Bücher. Dafür wurde ihr 1988 der Peter-Huchel-Preis zuerkannt. Es folgten viele weitere Lorbeerkränze, die Dichterin wurde Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste, doch bestsellertauglich wurde sie nie mit ihren „Kram-Gedanken“. Oft sind es Tagebuchnotizen, die sie zum Fliegen bringt: „wo dann hinter der Stadt die Gegend bloßlag, die Bahn straflos am Fluss spurt“.
Mit größter Detailgenauigkeit werden die Bilder im Vorbeigleiten festgehalten. Ein Heckenhase, ein einsamer Esel am Feldrain, ein Morgengrauen an der Balkontür. Das scheint für einen Augenblick stillzustehen. Dann aber kommt die Skepsis. Was ist wirklich, was Traum, was Einbildung, was ist Konvention? Solche Selbstbefragungen kann Elke Erb immer weitertreiben, das treibt sie an, treibt ihr Leser zu. Der Büchner-Preis, mit 50.000 Euro dotiert, könnte das bunte Treiben beschleunigen.