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Geschichtspfad ist kein alter Hut

In Kreischa wurden 500 Jahre lang Hüte produziert. Im Ortszentrum wird nun an diese Zeit erinnert.

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Von Sebastian Martin

Der Pfad beginnt am Haußmannplatz in Kreischa. Er führt quer durch das Ortszentrum in eine Zeit, die im Dorf fast vergessen scheint und an die eine Ausstellung jetzt erinnern soll. In 20 Schaufenstern werden aktuell Geschichten über die Hutproduktion in Kreischa erzählt – anhand von Exponaten und Fakten, die der Heimat- und Fremdenverkehrsverein Kreischa in den vergangenen Monaten gesammelt hat.

Das Wissen und der reiche Fundus basieren vor allem auf einem Mann – Thomas Werner, Sohn des letzten Kreischaer Hutfabrikanten. Kaum einer hat sich so intensiv mit dem einst so bedeutenden Wirtschaftszweig in der Gemeinde beschäftigt. Immer wieder hat er in den vergangenen Jahren Archive durchstöbert, Zeitzeugen gesprochen und akribisch Material gesammelt, das irgendwie mit der Hutproduktion in Kreischa zusammenhängt – Hüte, Nähmaschinen, historische Briefbögen, Rechnungen, alte Fotos, und, und, und. „Ich wollte eigentlich nur das Leben meiner Vorfahren erforschen“, sagt der heutige Geschäftsführer der Werner GmbH. Heraus kam auch eine mehr als hundert Seiten starke Chronik der Kreischaer Hutproduktion, in der viele der nun ausgestellten Dokumente festgehalten sind.

Strohhüte waren mal ganz schick

Auf einem der vielen historischen Fotos ist Thomas Werner selbst zu sehen. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeigt ihn, wie er die in der Fabrik des Vaters produzierten Hüte zur Post schafft. Auf einem Handwagen zieht der damals Sechsjährige die verpackte Ware hinter sich her. Die Pakete sind höher gestapelt als der mit dunkler Jacke, Strumpfhose und Shorts gekleidete Junge groß war. Das Bild stamme aus dem Jahr 1957, sagt Werner.

Damals war die Hutproduktion in Kreischa langsam wieder in Gang gekommen. Ihre Blütezeit hatte sie zu diesem Zeitpunkt aber längst hinter sich – so wie fast überall in der Region. Über viele Jahrhunderte erwarb sich die arme Landbevölkerung rund um Dresden mit dem Flechten und Nähen von Strohhüten einen kärglichen Nebenverdienst – meist in Feierabend- und Nachtarbeit. Thomas Werner schätzt, dass die Hutproduktion in Kreischa etwa mit der Reformation begann. Denn seit 1517 galten sächsische Strohhüte weit über die Landesgrenzen hinaus als schick. Aber ganz genau lässt sich der Ursprung der Hutproduktion nicht datieren, weil es aus dieser Zeit keine entsprechenden Dokumente gibt. Die arme Landbevölkerung hat nun mal gearbeitet, statt das Leben für die Nachwelt festzuhalten. Und in den Kirchenarchiven ist dazu nichts zu finden. Auch nicht in Kreischa.

Sicher ist aber, dass Mitte des 19. Jahrhunderts die Hutfabriken wie Pilze aus dem Boden schossen und immer mehr Menschen in den Betrieben einen Job fanden. Den Höhepunkt erreichte die Hutproduktion in Kreischa um 1900, als die damals fünf Fabriken bis zu 2 000 Menschen beschäftigten. „Ich habe einen Wilischboten von 1907, in dem 90 Prozent der hochzeitswilligen Frauen als Strohhutnäherinnen gearbeitet haben“, sagt Thomas Werner. Wenig später ging es allerdings mit dem Industriezweig bergab. Bereits 1928 musste die Strohhutfabrik der Gebrüder Gaudich wegen Misswirtschaft schließen – und das, obwohl deren Waren zuvor bis Amerika verschifft wurden. 1935 folgte der Konkurs der Hutfabrik Schiffel. Schuld war wohl der üppige Lebensstil des Chefs. Denn dessen Gewohnheiten hätten mit den bescheidenen Verhältnissen in Kreischa kollidiert, heißt es in der Chronik über die Kreischaer Hutproduktion von Thomas Werner. Das Ende des einst so bedeutenden Wirtschaftszweigs in Kreischa kam kurz nach der politischen Wende. 1990 schloss das an der Alten Straße liegende Werk der Dresdner Hutfabriken seine Tore, das bis 1972 unter den Namen Werner & Kny KG lief. Thomas Werner beantragte damals die Reprivatisierung des Grundstücks. Mit Erfolg. In der Ruine des Wohnhauses gründete er das Ingenieurbüro, das inzwischen zu einer Firma mit 50 Beschäftigten gewachsen ist.

Heute gibt es in Kreischa eine einzige Hutmacherin. Auch sie, Elise Schneider-Marfels, hat ihr Schaufenster für die Ausstellung zur Verfügung gestellt, die noch bis Mitte Mai zu sehen ist. Wer den sogenannten Hutpfad durch das Ortszentrum bis dahin nicht ablaufen kann, darf viele Exponate noch später bestaunen. Denn auch anschließend soll die Schau weitergehen, sagt Evelyn Gaszner vom Heimat- und Fremdenverkehrsverein Kreischa. Sie will einige Hüte, Fotos und andere Dokumente künftig im Vereinshaus und im Besucherraum der Sparkasse zeigen. Denn das Interesse an der Geschichte der Kreischaer Hutproduktion ist groß. Die Zeitreise in die anscheinend vergessene Epoche von Kreischa wird also weitergehen.