Gespentische Ruhe an Traumstränden

Von Martin Gehlen, SZ- Korrespondent
In Vor-Corona-Zeiten drehten Lufthansa-Kapitäne beim Anflug auf Kairo auch schon mal gerne eine Schleife über die Pyramiden am Stadtrand, um die Passagiere auf ihren Urlaub einzustimmen. Wer mehr von der antiken ägyptischen Kultur erfahren wollte, besuchte die Pyramiden von Giseh, reiste nach Oberägypten, ins Tal der Könige nach Luxor und nach Assuan. Wer dagegen lieber baden, surfen oder schnorcheln wollte, ließ sich mit dem Charterjet direkt ans Rote Meer bringen – nach Hurghada, Marsa Alam oder Sharm el-Sheikh mit den Traumstränden und Tauchparadiesen. Seit Jahrzehnten gehört Ägypten zu den beliebtesten Urlaubszielen der Deutschen. Im letzten Jahr kamen 2,5 Millionen der 13,1 Millionen Touristen aus „Almania“, wie die Ägypter sagen, mehr als aus jedem anderen Teil der Welt.
Ferienindustrie am Boden
Total anders ist die Lage nun in diesem Frühjahr. Seit zwei Monaten liegt eine so gespenstische Ruhe über allen Touristenorten, wie es sie noch nie gab. Sämtliche Urlauber sind weg, die letzten wurden Anfang April ausgeflogen. Von einer Woche auf die andere krachte die komplette Ferienindustrie zu Boden. Sämtliche Hotels wurden von den Behörden geschlossen, Strände, Restaurants, Museen und Tempelanlagen mussten zumachen. Zwar liegt Ägypten mit rund 10.000 Infektionen – bezogen auf seine Bevölkerungszahl – derzeit im letzten Drittel der weltweiten Corona-Statistik. Aber die Dunkelziffer vor allem in den Ballungsgebieten von Kairo und Nildelta ist offenbar sehr hoch.
Eilends installierte das ägyptische Antiken- und Tourismusministerium eine Online-Plattform unter dem Titel „Ägypten erleben von daheim“, die Besuchern virtuelle Touren anbietet durch Gräber im Tal der Könige, das Innere der Pyramiden, durch berühmte koptische Klöster oder monumentale Moscheen in Kairo. (https://egymonuments.gov.eg/) „Wir können es kaum erwarten, wieder mit Euch im Roten Meer zu tauchen“, meldete sich die zehnköpfige Crew einer Tauchschule in Sharm el-Sheikh per Website bei ihren deutschen Kunden. Sämtliche Hotels und Basen jedoch sind nach wie vor geschlossen.
Vier Millionen Beschäftigte
Dabei hatte das Jahr 2020 eigentlich das Zeug, zur besten ägyptischen Saison des zurückliegenden Jahrzehnts zu werden. Erstmals erwarteten Hotelbesitzer und Veranstalter mehr als 14 Millionen Urlauber, genauso viele wie 2010, der letzten Rekordsaison vor dem Arabischen Frühling. Vier Millionen Menschen arbeiten in diesen Sektor, der zuletzt zwölf Prozent zum Bruttosozialprodukt der Nation beisteuerte.
„Dieser Einbruch jetzt ist für den Nahen Osten eine sehr große Enttäuschung“, bedauert Sameh Tawfik, Generalmanager der Kairoer Filiale des Reisekonzerns „Intrepid Travel“, der auf kleine Gruppen und Individualreisen spezialisiert ist. Ägypten habe jahrelang gekämpft, um seine Kunden zurückzugewinnen – und zuletzt habe es richtig vielversprechend ausgesehen. „2018 war schon ein sehr gutes Jahr, 2019 war absolut klasse – doch als nun auf einmal alle Gäste abreisten, war das ein Gefühl wie nach dem Arabischen Frühling 2011, als es auch keine Kunden mehr gab.“ Doch anders als damals, hält der 38-Jährige die Aussichten diesmal für noch düsterer.
Hoffnung auf Spätsommer
Trotzdem setzt die Branche vage Hoffnungen auf den Spätsommer, wenn in Ägypten die Hauptsaison beginnt, auch ermutigt durch erste positive Signale des Hauptkunden Deutschland. Ferien seien trotz der Kontaktbeschränkungen nicht nur innerhalb Deutschlands denkbar, erklärte Entwicklungsminister Gerd Müller. Chancen bestünden auch in der Mittelmeer-Region einschließlich Nordafrika. Ausdrücklich nannte der CSU-Politiker Ägypten, Tunesien und Marokko. Voraussetzung seien „funktionierende Hygiene-Konzepte nach europäischen Standards“.
Und so veröffentlichte der ägyptische Tourismusminister letzte Woche ein aufwändig gemachtes Video mit dem Titel „Ägypten bald erleben“. Der schwungvolle Werbefilm zeigt die neuen Hygiene-Vorkehrungen gegen Corona, die das mediterrane Urlaubsland künftig allen Feriengästen garantieren will: Flugpersonal mit Mundschutz und Handschuhen, Temperaturmessungen bei Ankunft, Desinfektion von Airports, Hotelzimmern und Hotellobbys sowie weite Abstände an den Stränden zwischen Liegen und Sonnenschirmen.
Die Deutschen wiederum genießen die Sonne und die Wärme Ägyptens, die auch auf die Mentalität ihrer Gastgeber abfärbt.
Stolz auf Toleranz
Diese sind fast immer freundlich, gut gelaunt, humorvoll und zu einem kleinen Schwätzchen aufgelegt. Als Touristennation sind die Ägypter zudem stolz auf ihre Kultur, Toleranz und Weltoffenheit. Alkohol in Hotels und Restaurants ist kein Problem, genauso wie das Baden im Bikini – allerdings in der Regel nur in den Strandanlagen der Ferienressorts.
„Wir haben mit einigen Ländern bereits bilaterale Gespräche aufgenommen über die Wiederaufnahme des Tourismus“, erklärte Mohamed Farouk, Vorstandsmitglied des Verbandes der ägyptischen Reisebüros. Eine Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität jedoch wird es seiner Meinung erst frühestens in zwei Jahren geben. Ab Mitte Juni will Ägypten beginnen, das mit der WHO erarbeitete Hygienekonzept zu testen – zunächst mit einheimischen Gästen. Hotels dürfen zum Start nur eine Kapazität von maximal 25 Prozent belegen, die langsam auf 50 Prozent gesteigert werden soll.
Läuft in dieser Probephase alles gut und gibt es keinen Wiederanstieg der Infektionen, sollen zunächst Besucher aus der arabischen Region wiederkommen dürfen. Zum Schluss sind die internationalen Touristen dran – aus Deutschland, Europa, China und den USA. Doch wann genau, dass weiß heute niemand.