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Gesucht: Ein Wunderkind

Stadtpolitik. Das Stadt-oberhaupt muss einTausendsassa sein, sagtMischa Woitschek, derGeschäftsführer desStädte- und Gemeinde-tages in Sachsen.

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Herr Woitscheck, wie mächtig ist denn ein Oberbürgermeister in Sachsen?

Der Oberbürgermeister hat eine herausragende Rolle in der Stadt. Er ist der Vorsitzende des Stadtrates und der Vorgesetzte der städtischen Bediensteten. Er ist Erster Bürger und sollte somit ein Vorbild und eine Identifikationsfigur für die Bürger der Stadt sein.

Der OB ist also immer im Dienst?

Auf jeden Fall. Er muss sich darauf einstellen, dass er immer für die Öffentlichkeit da ist und von der Bürgerschaft auch immer in Anspruch genommen wird. Der Dienst endet praktisch nie.

Heißt das auch, dass sich Privatsphäre und öffentliches Amt nicht mehr trennen lassen?

Zumindest bedeutet es einen Einschnitt auch für die Familie. Zum einen wird der Oberbürgermeister auch sonnabends beim Brötchenholen immer als Erster Bürger wahrgenommen, zum anderen ist er auch mit der Art, wie er sein Leben lebt, Vorbild – oder eben nicht. Die Bürger sollten das Gefühl haben, dass sich da einer aufrichtig für die Interessen der Stadt einsetzt.

Das Amt ist mit großer Macht ausgestattet. Aber ohne eine Mehrheit im Stadtrat kann sich auch ein Oberbürgermeister leer laufen.

Sicherlich ist der OB in vielen Dingen an die Entscheidung des Rates gebunden. Eine vorrangige und verantwortungsvolle Aufgabe ist es, ein gutes Klima zum Stadtrat aufzubauen und zu pflegen.

Welche Grenzen setzt der Stadtrat dem OB?

Die wichtigste Grenze ist natürlich der Haushalt. Er gibt den Rahmen für das Handeln der Verwaltung vor. Und an diesen Rahmen muss sich der Oberbürgermeister halten. Es ist also wichtig, dass der OB vor allem in diesem Punkt mit der Mehrheit des Rates übereinstimmt.

Wie frei ist der OB bei der Organisation seiner Verwaltung?

Theoretisch hat ein Bürgermeister dabei freie Hand. Aber bei größeren Städten gibt es Beigeordnete, deren Geschäftsbereiche vom Stadtrat beschlossen werden. Eine grundlegende Verwaltungsreform muss der Oberbürgermeister also gemeinsam mit dem Stadtrat umsetzen.

Was, wenn der Stadtrat bockt?

Der OB kann sich gegen Beschlüsse des Rates widersetzen, manchmal muss er es sogar. Insofern ist seine Stellung wiederum sehr stark.

Wann kann er, wann muss er?

Er muss sich widersetzen, wenn der Stadtrat rechtswidrige Beschlüsse fasst. Er kann widersprechen, wenn er glaubt, dass ein Nachteil für die Stadt entsteht.

Wie ist „Nachteil“ definiert?

Das ist nicht genau festgelegt. Es ist ein Stück weit auch eine subjektive Bewertung. Er kann etwa die eingeschränkten Öffnungszeiten des Schwimmbads als schädlich einstufen.

... weil das die Lebensqualität der Menschen beeinträchtigt?

Das kann der Hintergrund sein. Aber im Vordergrund müssen doch Zahlen und Fakten stehen. Zum Beispiel, dass der Stadt Einnahmen verloren gehen durch schlechtere Öffnungszeiten.

Wie widersetzt sich der OB?

Er muss zunächst dem Beschluss des Stadtrates formell widersprechen. Dann legt er Widerspruch bei der Aufsichtsbehörde ein, in diesem Fall dem Regierungspräsidium in Dresden.

Wie wichtig ist Verwaltungserfahrung für den OB?

Vor allem ist es vorteilhaft, wenn der OB zuvor schon in leitenden Positionen gearbeitet hat. Er muss ja viele Mitarbeiter seiner Behörde führen. Dazu gehört Erfahrung. Kommunale Verwaltungskenntnisse sind auf jeden Fall eine gute Voraussetzung. Der OB muss die Vorlagen einschätzen können, die ihm zugearbeitet werden.

Vor allem, wenn die Beigeordneten eigene Interessen verfolgen.

Genau.

Reicht dazu nicht gesunder Menschenverstand?

Den braucht man natürlich auch. Der OB muss logisch denken und die Zusammenhänge erfassen und bewerten können. Die Anforderungen an den OB sind auch hier sehr hoch. Aber die Verwaltungssprache ist sehr speziell. Mit ihr muss man lernen umzugehen.

Wie lange braucht ein „Neuling“ dafür?

Die Erfahrung zeigt, dass es etwa ein Jahr dauert, bis sich ein Bürgermeister ohne Verwaltungserfahrung da hineingefuchst hat.

Ein Oberbürgermeister muss also eine „eierlegende Wollmilchsau“ sein?

Der OB ist ein Generalist. Er muss praktisch alles beherrschen, von der Haushaltsführung bis zum Umgang mit den Menschen. Er muss in der Lage sein, seine Fachleute im eigenen Haus aufzubauen und sehr effektiv einzusetzen.

Sachsens Kommunalverfassung trennt nicht zwischen „Parlament“ und „Regierung“. Verwischen da nicht die Fronten?

Das Prinzip hat einen großen Vorteil: Der Stadtrat kann als Teil der Verwaltung nie mit dem Finger auf den OB zeigen und sagen: Der war’s. Es sitzen alle in einem Boot. So kommt auch dem Stadtrat eine hohe Verantwortung zu.

Gespräch: Frank Seibel