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Getroffen!

Die Schützengesellschaft Ziegenhain wurde vor 20 Jahren wiedergegründet. Die Mitglieder zelebrieren das Schießen – auch ein Ex-Bürgermeister.

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© hübschmann

Von Christoph Scharf

Ein Knall, ein Treffer. So stellt man sich gewöhnlich das Geschehen am Schießstand vor. Doch im Nossener Ortsteil Pinnewitz geht alles etwas gemächlicher zu. Lutz Grübler nimmt eine Portion Schwarzpulver aus einem Gläschen. Mit einem Trichter füllt der 59-Jährige das genau abgewogene Gramm in seinen Vorderlader, ein Replika einer englischen Pistole, die vor 200 Jahren modern war. Dann wird vorsichtig die selbst gegossene Bleikugel auf den Lauf gesetzt und eingehämmert. Nun kommt der Ladestock zum Einsatz. Als Letztes wird das Zündhütchen aufgesetzt.

Der Alte und der Neue: Lutz Grübler (links) hat altershalber Christian Pietzsch als Chef der Schützengesellschaft Ziegenhain abgelöst. Lutz Grübler schießt mit dem Nachbau eines historischen Charles-Moore-Vorderladers (kleines Foto). Fotos: Claudia Hübsch
Der Alte und der Neue: Lutz Grübler (links) hat altershalber Christian Pietzsch als Chef der Schützengesellschaft Ziegenhain abgelöst. Lutz Grübler schießt mit dem Nachbau eines historischen Charles-Moore-Vorderladers (kleines Foto). Fotos: Claudia Hübsch © hübschmann

Jetzt ist die Pistole scharf. Alle Anwesenden setzen einen Gehörschutz auf. Es kann losgehen! Der langjährige Bürgermeister von Ketzerbachtal, der seit der Fusion mit Nossen im Ruhestand ist, nimmt sich Zeit zum Zielen. 25 Meter sind es bis zur Zielscheibe. Ein Auge ist zugekniffen. Der Atem wird ganz gleichmäßig. Abdrücken soll man möglichst zwischen zwei Herzschlägen, hat es vorhin noch geheißen. Dann der trockene Knall, der trotz der dicken Polster auf den Ohren noch deutlich zu vernehmen ist. Alle Blicke gehen nach vorn auf die Zielscheibe. Schon aus der Entfernung ist zu erkennen: Es ging ins Schwarze.

Waffen wie bei Napoleon

Lutz Grübler läuft am Rand des Schießstands nach vorn, um die Scheibe zu holen. Aus der Nähe wird die Vermutung Gewissheit: Neun Ringe hat der Treffer gegeben. Auch von den anderen Schüssen brachte niemand weniger als sieben Ringe.

Das hat seinen Grund: Der neue Chef der Schützengesellschaft Ziegenhain ist seit der Wiedergründung des Vereins vor 20 Jahren aktiv dabei. Und genau so lange schießt er auch Vorderlader – die Disziplin, die vom Kugelgießen bis zum Schuss die aufwendigste Vorbereitung braucht. Aber warum? „Das Historische daran fasziniert“, sagt Lutz Grübler. „Mit solchen Waffen hat man schon zu Napoleons Zeiten geschossen“, ergänzt ein Vereinsfreund. Ohnehin gelten die Ziegenhainer, die in einer früheren Kiesgrube in Pinnewitz ihr Domizil errichtet haben, als echte „Vorderlader-Truppe“. An die 15 Mann schießen mit den Nachbauten historischer Waffen, zwei Drittel von ihnen sind regelmäßig bei den Landesmeisterschaften in Leipzig dabei.

Allein schon das Gießen der Kugeln ist eine Meisterschaft für sich: Auf 450 Grad wird das Blei erhitzt – entweder frisch gekauft oder aus dem Sand des Kugelfangs gesammelt. Dann in die Kokillen-Zange gegossen, erkalten gelassen, gerollt, nachbearbeitet. Auch das Abmessen der Pulvermenge mit der Feinwaage ist nichts für Laien. Nimmt man zu viel Pulver, geht der Schuss womöglich seitlich vorbei. Nimmt man zu wenig, geht er unten vorbei. – Kein Wunder, dass beim Wettkampf für 15 Schuss 40 Minuten vorgesehen sind. „Die braucht man auch“, sagt Lutz Grübler. Jedes Mal muss der Schütze sich konzentrieren, den Puls beruhigen, abschalten. „Wenn man tagsüber schwer gearbeitet hat, trifft man nichts“, sagt Lothar Möhler, Dachdecker und Sportleiter. „Erst mal benötigt man eine halbe Stunde Ruhe. Schließlich wollen wir es nicht nur knallen lassen, sondern treffen!“ Um die richtige Taktik zu finden, brauche man Monate, wenn nicht gar Jahre.

Ein Fahrrad für die Schießbahn

Genug Platz zum Üben haben die Schützen jedenfalls. Seit 1995 hat sich der Verein am Rand von Pinnewitz Stück für Stück ein Areal aufgebaut, um das die Ziegenhainer von Sportfreunden aus den Alten Bundesländern regelmäßig beneidet werden. Welcher Verein hat schon nicht nur eine 25- und eine 50-Meter-Schießbahn, sondern auch eine 100-Meter-Anlage? Die mit Betonfertigteilen errichtete Anlage ist so groß dimensioniert, dass drinnen extra ein Fahrrad bereitsteht, um vorn die Scheiben auszutauschen. Auch ein Vereinshaus mit einem Saal für 130 Leute gehört dazu. „So was zu bauen, ging nur in den Jahren nach der Wende“, sagt Christian Pietzsch, der den Verein mitgründete und den Vorsitz vor Kurzem altershalber an Lutz Grübler abgab. Seinerzeit konnten die Schützen etliche Dachbinder von abgewickelten LPG übernehmen, Silo-Einfassungen aus Beton, die Baubaracke vom Tanklager. Dazu kamen viele Tausend Stunden ehrenamtliche Arbeit. „Wir haben lange mehr gebaut als geschossen“, sagt Christian Pietzsch. Und auch heute gehört bei den Schützen wesentlich mehr dazu, als nur zu zielen und abzudrücken.

Nächste Termine in Pinnewitz: 22. August kreisoffenes Seniorenschießen, 10. Oktober Westernschießen.

www.schuetzengesellschaftziegenhain.de