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Gewalt hinter Wohnungstüren

Bischofswerda. Männer schlagen ihre Frauen, Nachbarn schauen weg: Auf einem Forum wurden Auswege diskutiert.

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Von Ingolf Reinsch

Abends, als sie in ihrem Zimmer allein war, kamen die Zweifel. War es denn wirklich so schlimm, dass sie weglaufen musste? Hatte der Mann, der sie schlug, nicht auch gute Seiten? Nahm sie den Kindern nicht das Zuhause weg? Das erste Vierteljahr, sagt sie, habe sie nur Angst gehabt. Angst, sie könnte die Kinder verlieren. Angst, plötzlich vor dem Nichts zu stehen. Angst, die lähmt. Das ist nun schon zehn Jahre her. Wie die anderen vier Frauen, die am Freitag von Freiberg nach Bischofswerda kamen, hatte sie männliche Gewalt am eigenen Leib erfahren – und im Frauenschutzhaus der Erzgebirgsstadt zeitweilig eine Bleibe gefunden.

Auf einer von der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises, Heidemarie Tröger, initiierten Veranstaltung zum Thema „Kraft spüren – Auswege finden“ berichteten die fünf Frauen im Kulturhaus von ihren Erfahrungen: Zuerst in einer szenischen Collage, die den langen Weg des Ausbruchs aus häuslicher Gewalt bis zu einem Neuanfang nachzeichnete; und anschließend sehr persönlich in der Diskussion.

„Häusliche Gewalt ist an Zahlen nicht messbar“, sagte Heidemarie Tröger zum Auftakt der Diskussion, an der unter anderem Sozialarbeiter, Kreisräte, Mitarbeiterinnen des Frauenschutzhauses Bautzen und weitere Interessenten teilnahmen. Rolf Machold, Leiter des Bischofswerdaer Polizeireviers, informierte über das seit Anfang 2002 geltende Gewaltschutzgesetz.

Gesetzestext und Gesetzeswirklichkeit sind häufig immer noch zwei Seiten, machte Rolf Machold deutlich. Seitdem er Ende 2003 die Leitung des Bischofswerdaer Reviers übernommen hat, belehrten Polizisten in nur zwei Fällen Frauen nach gewaltsamen Übergriffen durch ihre Partner über das Gewaltschutzgesetz. Beide Male verzichteten die Frauen, das Gesetz, das Wege zu einer Trennung aufzeigt, in Anspruch zu nehmen. Die Gründe dafür können vielfältig sein, sagte Rolf Machold und nannte unter anderem: die Kinder, wirtschaftliche Abhängigkeiten und die Angst vor seelischen Grausamkeiten. Dem Revierleiter zufolge gebe es „eine gehörige Dunkelziffer“. Nicht immer wenden sich die Betroffenen selbst an die Polizei; teilweise rufen auch Nachbarn an.

Das Gewaltschutzgesetz regelt die zivilrechtliche Seite. Um schlagende (Ehe-)Männer auch strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, müsste die Frau Anzeige erstatten. Zur psychologischen Schwelle kommen offenbar auch Gesetzeslücken: So gilt häusliche Gewalt in der Regel nur als „einfache Körperverletzung“.

Die Polizei ist verpflichtet, Frauen, die Opfer ihrer Männer werden, über das Gewaltschutzgesetz zu informieren. Auch das Frauenschutzhaus Bautzen bietet Beratungen zu diesem Gesetz an. Nach den Erfahrungen der Freiberger Frauen ist die räumliche Trennung notwendig – gerade auch, damit die Kinder zur Ruhe kommen können. „Man weiß, dass man alles verlassen muss“, sagte eine von ihnen zu ihrem Weg ins Frauenschutzhaus. Ihr Sohn habe dort nach zwei Jahren wieder das Lachen gelernt. „Und da wusste ich, dass ich es schaffe.“

Frauenschutzhaus Bautzen: (03591) 4 51 20 (täglich 24 Stunden). Die Beratungen erfolgen anonym und vertraulich.