Von Stephan Klingbeil
Er hatte die brasilianische Studentin in Dresden getroffen. Zufällig, wie der 21-jährige B. aus Freital betont. Mit einem Kumpel hätte er zuvor den Nachmittag verbracht, er erkannte die Frau wieder. Der Mann sagt, sie beide hätten sich mal in der Disko kennengelernt, sich dort geküsst. Nun trafen sie sich erneut, sie redeten, gingen gemeinsam einkaufen. Er wollte Milch holen, sie angeblich Wein – für eine Party.
Was in den Stunden danach geschah, soll nun am Amtsgericht Pirna aufgeklärt werden. Dort muss sich der 21-jährige Iraner wegen Vergewaltigung verantworten. Er soll die brasilianische Studentin in seiner Freitaler Wohnung gewürgt, geschlagen und vergewaltigt haben – mehrmals. Davon geht die Staatsanwaltschaft aus.
Demnach waren sie in der Nacht zum 12. April dieses Jahres bei ihm gelandet. Sie wollte offenbar nur küssen und dann einschlafen. Doch es blieb nicht dabei. Er weist die Vorwürfe von sich, erläutert detailliert seine Sicht auf jenen Sonnabend.
Der letzte Zug war schon weg
Sie hätten sich in Dresden unterhalten, dabei die Weinflaschen geleert. Um Nachschub zu holen, seien sie nach Freital gefahren – dort kannte der Iraner eine Tankstelle. Gegen Mitternacht kauften sie zwei kleine Flaschen Wodka und Orangensaft.
„Danach tranken wir weiter, und dann war es zu spät, der letzte Zug, mit dem sie zurück nach Dresden fahren konnte, war weg, der nächste kam erst Stunden später“, so der Angeklagte. Irgendwann hätten sie sich geküsst, fuhren in seine Wohnung, wo es zum Sex kam. „Es war einvernehmlich“, so der Angeklagte. Die Frau hätte vielmehr eine Beziehung gewollt, er habe das nach dem Sex abgelehnt. „Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich eine Freundin hatte, die Beziehung ging aber hin und her.“
Die Verletzungen, die bei der Brasilianerin festgestellt wurden, könne er sich nicht erklären. „Vielleicht ist sie gestürzt, sie war ja auch betrunken.“ Die Studentin zeigte ihn jedenfalls an. Die verschüchterte Frau sagt in Pirna unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Laut Anklageschrift habe der 21-Jährige sie zum Sex gezwungen.
Nachdem der Mann sie erst gewürgt, dann geschlagen habe, hätte sie Angst gehabt. Als er fertig mit ihr gewesen sei, hätte sie ihn gebeten, gehen zu dürfen. Doch der muskulöse Mann hätte abgelehnt. „Es sei noch zu früh“, soll er gesagt und schließlich gedroht haben, seine Freunde zu holen, wenn sie nicht noch mal Sex mit ihm hat. Aus Angst ließ sie es erneut über sich ergehen und verließ später die Wohnung. Zwei Wochen später wurde der Iraner verhaftet. Ein Urteil steht allerdings noch aus.
Verhältnismäßig selten, aber doch immer wieder gibt es Vergewaltigungsprozesse im Landgerichtsbezirk Dresden, also an den Gerichten in Dresden, Pirna, Dippoldiswalde, Riesa und Meißen. Die Zahl der Verurteilungen war zuletzt relativ konstant. Sie lag laut Statistischem Landesamt 2005 bei 29 und vor sechs Jahren bei 16, 2013 sind es zehn Fälle gewesen. Im Vorjahr gab es zwölf Verurteilungen. Sachsenweit haben Verurteilungen wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung abgenommen – von 104 im Jahr 2005 auf 76 im Jahr 2009 und 38 im Jahr 2014. Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung befindet sich aber langfristig betrachtet auf eher konstantem Niveau, lag zuletzt bei 2120.
Aussage gegen Aussage
Bei einer Verurteilung wegen Vergewaltigung droht Angeklagten mindestens ein Jahr Gefängnis. Bei schweren Fällen, etwa wenn eine Waffe benutzt wird oder wenn das Opfer schwer verletzt wird, mindestens fünf Jahre. Trotz solcher Strafen gibt es jedes Jahr bundesweit Tausende Übergriffe. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland fast 47 000 Fälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung polizeilich erfasst. Das geht aus der Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts (BKA) hervor. Darunter waren 7345 Vergewaltigungen und schwere Fälle von sexueller Nötigung aufgeführt. Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer bei Vergewaltigungen viel höher ist als die Zahl der angezeigten Fälle.
Der BKA-Kriminalstatistik zufolge wurden voriges Jahr acht von zehn dieser Sexualstraftaten aufgeklärt. Die Taten ereigneten sich dabei in Kleinstädten wie in Großstädten, die Fallzahlen sind jeweils ähnlich hoch. Die Vergewaltigungszahl nach Überfällen lag bei über 860 insgesamt. Etwa 60 Prozent der überführten Täter waren zuvor schon mal auffällig. In jedem vierten Fall spielte Alkohol eine Rolle. Der Anteil deutscher Verdächtiger lag bei fast 70 Prozent.
Wie in dem nun am Pirnaer Gericht verhandelten Fall steht nicht selten Aussage gegen Aussage. Es gibt keinen dritten Zeugen. So muss sich das mutmaßliche Opfer auch hier vor Gericht allen Fragen stellen. Da sich die Prozessbeteiligten nicht auf einen zeitnahen Termin einigen konnten, wird erst im Oktober weiterverhandelt.