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Giftig süße Versuchung

Mit saftigem Fruchtfleisch und leuchtenden Farben locken nicht nur Erdbeeren oder Kirschen in Nachbars Garten, sondern auch zahlreiche Wildfrüchte in Wald und Flur. Von Vögeln oder Säugetieren gefressen,...

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Von Hans-Werner Otto

Mit saftigem Fruchtfleisch und leuchtenden Farben locken nicht nur Erdbeeren oder Kirschen in Nachbars Garten, sondern auch zahlreiche Wildfrüchte in Wald und Flur. Von Vögeln oder Säugetieren gefressen, kommt es dadurch - nach Durchlaufen des Verdauungskanales - zur Verbreitung der im Fruchtfleisch enthaltenen Samen. Einige dieser Früchte, im Volksmund gewöhnlich als Beeren bezeichnet, enthalten aber Stoffe, die auf den menschlichen Organismus mehr oder weniger stark giftig wirken. Einundvierzig solcher Pflanzenarten mit beerenartigen giftigen Früchten sind bisher im Landkreis Bautzen beobachtet worden. Manche von ihnen wachsen „schon immer“ hier, andere sind vor einigen Jahrhunderten oder wenigen Jahrzehnten eingewandert und haben sich hier eingebürgert, wieder andere treten nur vorübergehend auf.

All diese Arten sollen nun vorgestellt werden, mit Angaben zum Giftgehalt, zur Giftwirkung und zu ihrer Verbreitung im Bautzener Land. Die Zusammenstellung soll helfen, vor allem Kinder vor dem Verzehr ihnen unbekannter Früchte besser warnen zu können. Die Kenntnis von der Giftigkeit einzelner Pflanzen darf aber auf keinen Fall zur Ausrottung dieser Arten führen, denn jedes Lebewesen spielt im Beziehungsgefüge der Natur seine ganz bestimmte Rolle, je artenreicher ein Ökosystem ist, desto stabiler ist es auch. In einem abschließenden Kapitel erfolgen noch Hinweise zur systematischen Stellung, zum Schutzstatus und zum Gefährdungsgrad der Arten in Sachsen. (Wirkungsvolle Gegenmaßnahmen bei Vergiftungen findet der Leser dagegen in der angeführten Giftpflanzen-Literatur.)

Zunächst aber müssen wir uns mit den Begriffen „Gift“ und „Beere“ etwas näher beschäftigen. Nicht alles, was wie eine Beere aussieht und Beere genannt wird, ist auch tatsächlich eine Beere. Der Botaniker versteht darunter nur solche Einzelfrüchte, deren Fruchtwand auch noch bei der Reife saftig oder wenigstens fleischig bleibt, wie das z. B. bei Weinbeere, Stachelbeere, Johannisbeere oder Heidelbeere der Fall ist.

Brombeeren sind gar

keine Beeren

Holunderbeeren dagegen tragen ihren Namen zu Unrecht. Früchte, bei denen die Fruchtwand in eine steinharte Innenschicht und eine saftige oder wenigstens fleischige Außenschicht gegliedert ist, wie das auch bei Kirsche, Pfirsich oder Walnuss der Fall ist, sind Steinfrüchte. Auch die Namen Vogelbeere, Himbeere, Brombeere, Erdbeere und Maulbeere sind irreführend.

Wann aber ist eine „Beere“ giftig oder nicht giftig? Paracelsus von Hohenheim (1493 - 1541), der berühmte Arzt am Ausgange des Mittelalters, hatte schon vor fast 500 Jahren erkannt: „Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Das stimmt zwar auch heute noch, doch hilft es uns in Bezug auf die Fragestellung nicht weiter. In einem tschechoslowakischen Giftpflanzen-Buch stoßen wir auf eine brauchbare Definition: „Gift ist ein Stoff, der unter bestimmten Bedingungen und in bestimmter Menge und Form auGrund seiner chemischen Beschaffenheit auf ein gewisses Organ bzw. auf mehrere Organe von Lebewesen so wirken kann, daß der Gesundheitszustand vorübergehend oder bleibend geschädigt wird, was auch den Tod herbeiführen kann.“ Enthält also eine Frucht einen solchen Stoff, dann ist sie giftig.

Chemisch gesehen handelt es sich bei Pflanzengiften vorwiegend um vier Gruppen organischer Verbindungen: Alkaloide (stickstoffhaltig, sehr unterschiedlich strukturiert), Glykoside (aus einem zuckerhaltigen und einem zuckerfreien Bestandteil zusammengesetzt), Terpene (stickstofffreie Verbindungen) und Eiweißbausteine (Peptide und Proteine).ach diesen Vorbemerkungen können nun alle wildwachsenden Pflanzen mit giftigen „Beeren“ vorgestellt werden, geordnet nach Farbe und Beschaffenheit der Frucht. Ein Beispiel sind die Pflanzen mit giftigen roten Beeren Die Früchte des Bittersüßen Nachtschattens (Solanum dulcamara) schmecken beim Kauen tatsächlich erst bitter und dann süß. Bis zu 2 Meter hoch klettert die ausdauernde Pflanze in Erlenbrüchen, Weidengebüschen, an Teichen und Gräben, verbreitet in Tief- und Hügelland, zerstreut im Bergland.

Unwohlsein und Durchfall

nach Beerengenuss

Es handelt sich um einen Halbstrauch, bei dem nur der untere Stängel verholzt, der obere Teil aber krautig bleibt. Seine Laubblätter sind bis auf zwei abgetrennte Lappen nahezu ganzrandig. Oft sind die violetten Blütenblätter so zurückgeschlagen, dass die goldgelbe Staubbeutelröhre deutlich sichtbar wird. Die Fruchtstände mit den eiförmigen, sich von grün über mehrere Zwischenfarben allmählich scharlachrot färbenden Beeren erinnern an „Ostereierbäume“ im Kleinformat. Die Beeren enthalten steroide Glykoalkaloide und Saponine, die Unwohlsein, Erbrechen, Durchfall, hervorrufen können, selten auch zum Tod durch Stillstand von Atmung und Herztätigkeit führen. Unreife Beeren sind giftiger als reife. In der Volksmedizin nutzte man früher das blühende Kraut als Tee gegen Rheumatismus; in Alkohol aufgesetzte Beeren als Augenmittel und zur Blutreinigung.

wird fortgesetzt