Von Tobias Wolf
Der Chromkühler blitzt im hell erleuchteten Saal des Verkehrsmuseums. Fast schon liebevoll fährt Uwe Weigelt gestern über die rotlackierte Motorhaube seines Oldtimers. Seit 2011 gehört ihm der Wagen Typ Steyr 220 Cabriolet – eine österreichisch-sächsische Koproduktion. Denn Gestell und Motor liefen 1937 in Steyr/Oberösterreich vom Band. Der prunkvolle Aufbau wurde in Dresden von Hand gefertigt. Keine unübliche Vorgehensweise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Denn diejenigen, die es sich leisten konnten, ließen ihren Wagen individuell bei Gläser-Karosserien in der Johannstädter Arnoldstraße bauen. Die Sonderausstellung „Luxus auf vier Rädern – 150 Jahre Gläser-Karosserien Dresden“ erinnert an den einstigen Spezialisten mit Weltruf. Denn bis zum Zweiten Weltkrieg war Sachsen die unumstrittene Wiege des deutschen Automobilbaus und unter anderem Geburtstort der bis heute existierenden Marke Audi.
Es sind diese längst vergangenen Zeiten industrieller Blüte, die Oldie-Sammler Uwe Weigelt faszinieren. Mehr als ein Dutzend Fahrzeuge nennt er sein Eigen. „Die Hälfte davon ist fahrbereit“, sagt der 51-Jährige. Für Ausfahrten ins Leipziger Land oder ins Erzgebirge, wo Weigelt seine Klassiker warten lässt. Der rot-weiße Steyr mit dem polierten Kühler darf nur im Sommer raus oder wenn es mal ein paar Tage nicht regnet. „Sonst wird man mit dem Abreiben der Wasserflecken nicht mehr fertig“, sagt der Oldtimer-Enthusiast. „Wegen der verwinkelten Blechkanten kann allein das Polieren mehr als drei Stunden dauern.“ Was die Pflege zur Nervenprobe macht, freut den Ästheten. Denn die Gläser-Aufbauten sind Kunstwerke, quer durch alle Epochen.
Statussymbol in allen Epochen
Den legendären Karosseriebau in Dresden hatte der 1833 im erzgebirgischen Erdmannsdorf geborene Carl Heinrich Gläser Mitte der Sechzigerjahre des vorvergangenen Jahrhunderts begründet. Mit einer Gewerbeanmeldung zum Bau von Kutschen und Pferdeschlitten. Der erste Wagen wurde 1864 ausgeliefert. Wegen der guten Qualität kamen bald Aufträge vom Königlichen Oberstallamt. Erst für Kutschen, nach der Jahrhundertwende auch für Jagdomnibusse und Limousinen. Gläser durfte sich offiziell als „Königlicher Hofwagenbauer“ bezeichnen. Und die Wettiner blieben ihm treu. 1902 starb Gläser, doch sein Name lebte weiter. Wenige Jahre zuvor war Friedrich August Emil Heuer in Gläsers Unternehmen eingetreten. Und profitierte von einem einflussreichen Namensvetter, dem letzten sächsischen König. „Friedrich August III. wollte die einheimische Industrie stärken“, erklärt Benjamin Otto, einer der Kuratoren der Sonderausstellung im Verkehrsmuseum. Nach dem Fall der Monarchie wurden die Repräsentanten der neuen Weimarer Republik mit repräsentativen Dienstwagen aus Dresden ausgestattet, unter anderem die Reichspräsidenten Friedrich Ebert und Paul von Hindenburg.
Uwe Weigelts Steyr 220 hingegen wurde speziell für den österreichischen Markt geliefert, wie eine noch vorhandene Zulassung aus Wien belegt. Zudem war das Getriebe des 55 PS starken Sechszylinders mit kurzen Gängen so konstruiert, dass es die steilen Alpenstraßen bewältigen konnte. „Wenn man damit 120 auf der Autobahn fahren würde, dreht der Motor viel zu hoch“, sagt Weigelt. „Dafür ist er aber eine richtige Bergziege.“ Ideal für die Ausflüge ins Erzgebirge.
Was der Wagen seit 1938 alles erlebt hat, lässt sich kaum mehr nachvollziehen. Die österreichischen Fahrzeugpapiere datieren auf Mitte der 1960er Jahre. Dann verschwand der Wagen vom Schirm der Registrierungsbehörden und tauchte vor einigen Jahren bei einem Sammler in der Ukraine wieder auf, der das Schmuckstück restaurieren ließ. Als die Finanzkrise kam, habe dieser den Wagen verkaufen müssen, sagt Neubesitzer Weigelt, der in Eilenburg einen Autohof und ein Fuhrunternehmen betreibt. Den Preis des Oldtimers will er nicht verraten. Nach SZ-Informationen dürfte der Wagen mehrere zehntausend Euro wert sein. „Des einen Leid ist des anderen Freud“, sagt Weigelt und lächelt. Wegen der legendären Bergsteigerqualitäten gehörte der luxuriöse und mit rund 7.000 Reichsmark sehr teure Steyr auch im Zweiten Weltkrieg zu den begehrtesten Statussymbolen unter den Stabsoffizieren der Wehrmacht. Aber die Karosserien wurden auch von den kommunistischen Machthabern in der DDR geschätzt. Unter dem Firmennamen „VEB Karosseriewerke Dresden“ baute das frühere Gläser-Werk Aufbauten für Cabrio- und Sportwagenmodelle der ersten Wartburg-Serien sowie für Staatslimousinen von Sachsenring und den P70, einem Vorläufer des Trabant. Nur noch bis Ende der Woche sind die automobilen Kunstwerke aus Dresden im Verkehrsmuseum zu sehen. Für alle, die es ganz genau wissen wollen, bieten die Kuratoren am Sonntag eine Spezialführung durch die Ausstellung an. Denn sobald der Frühling richtig losgeht, rollt Uwe Weigelt mit seinem Steyr 220 längst wieder durch das Erzgebirge.