Von Ingo Kramer
Als OB Joachim Paulick vor zwei Wochen zur Diskussion über das geplante Einkaufszentrum an der oberen Berliner Straße in den großen Ratssaal einlud, da war sie plötzlich wieder in aller Munde: Die Cima-Studie. Dahinter verbirgt sich ein Einzelhandels- und Zentrenkonzept, das die Stadt bereits vor mehr als einem Jahr bei der Leipziger Beratungs- und Managementgesellschaft Cima in Auftrag gegeben hat. Seit September liegt es der Stadt vor. Über die Inhalte aber schweigt Paulick bis heute beharrlich. „Das ist die Grundlage für einen Beschluss zum Handelskonzept, der in wenigen Wochen in den Stadtrat soll“, sagte Paulick in der Diskussion. Erst nach dem Beschluss solle die Studie veröffentlicht werden. Die SZ berichtet heute exklusiv, was im Konzept steht.
Was hat die Studie untersucht und ausgewertet?
Von Februar bis April vorigen Jahres hat die Cima analysiert, welche Handelsstrukturen in Görlitz vorhanden sind, wo die Görlitzer einkaufen gehen, wer von außerhalb nach Görlitz kommt und woran es mangelt. Zusätzlich zu allerhand statistischen Erhebungen wurden im April auch 328 Passanten in der Innenstadt zu ihrem Einkaufsverhalten befragt. Im Mittelpunkt sämtlicher Analysen steht die Innenstadt. Andere Viertel wurden ebenfalls betrachtet, allerdings weniger in den Mittelpunkt gerückt.
Ist die Kaufkraft so schlecht, wie immer alle behaupten?
Ja und nein. Der Wert liegt weit unter dem Bundesdurchschnitt, aber nur wenig unter Städten wie Bautzen und Hoyerswerda. Um das zu untersuchen, hat die Cima den Kaufkraftindex genutzt. Das ist eine Kennziffer, die angibt, wie groß das verfügbare Durchschnitts-Netto-Einkommen pro Kopf, das für Ausgaben im Einzelhandel zur Verfügung steht, im Verhältnis zum Bundesmittelwert ist. Als Durchschnitt gilt 100. In Görlitz liegt der Wert nur bei 87, in Bautzen und Hoyerswerda bei 89 beziehungsweise 91. Doch selbst Dresden liegt mit 94 unter dem Durchschnitt.
Geht Kaufkraft verloren, weil die Görlitzer woanders kaufen?
Görlitz hat ein Kaufkraftpotenzial von 266 Millionen Euro pro Jahr. Davon fließen 78 Millionen in Konkurrenzstädte ab. Allerdings fließen auch 98 Millionen Euro aus dem Einzugsgebiet zu, so dass insgesamt ein Potenzial von 286 Millionen Euro bleibt. Der tatsächliche Einzelhandelsumsatz liegt knapp darunter. Das ist nach Aussage der Studie längst nicht befriedigend: Im Vergleich zu anderen Städten vergleichbarer Größe gilt der Wert als weit unterdurchschnittlich.
Was läuft in der Innenstadt gut und was überhaupt nicht?
Die attraktivsten Standorte für den Einzelhandel sind laut Cima Demianiplatz, Postplatz und untere Berliner Straße. Dagegen wird für obere Berliner Straße, Jakob- und Hospitalstraße eine dringende städtebauliche Aufwertung empfohlen. Hier stehen zu viele Läden leer. Eine anschauliche Fassadengestaltung sowie Fußgängerfreundlichkeit sei in den meisten Lagen gegeben. Um die Innenstadt generell attraktiver zu machen, schlägt das Konzept zwei Dinge vor, die sich auf den ersten Blick nicht zu vertragen scheinen: Mehr Parkplätze, aber auch mehr Grünflächen.
Wie bewerten die befragten Passanten die Situation?
Görlitz wird häufig als abgehangen wahrgenommen. Die Folge: Viele Leute vermissen modernere Sortimente und bessere Qualität, vor allem bei Bekleidung, aber auch bei altersgerechten Sortimenten. Angebotsvielfalt und -qualität werden entsprechend mittelmäßig bewertet. Schuld an diesem Eindruck sind vor allem das geschlossene Warenhaus und die unsanierte und leere obere Berliner Straße. Viele Görlitzer orientieren sich offensichtlich zum Einkauf an den Stadtrand sowie nach Dresden und Bautzen. Von Polen und den dortigen Einkaufsmöglichkeiten distanzieren sich aber die meisten Görlitzer.
Welche Empfehlungen gibt das Einzelhandelskonzept?
Hier hat sich die Cima alle Branchen angesehen und ist zu unterschiedlichen Schlüssen gekommen. Lebensmittel gibt es genug, außer im östlichen Teil der Innenstadt, also in der Nähe der Neiße. Allerdings wird eine größere Breite empfohlen, etwa bei Bio- und Reformwaren. Apotheken und Drogeriemärkte sind ausreichend vorhanden, Läden mit Spezialsortimenten werden aber angeraten. Sehr deutlich wird die Cima bei Bekleidung und Schuhen: Es gibt zwar viele Anbieter, aber zu wenige bieten eine hohe Qualität an. Ganz grundlegend rät die Studie zu kleinen Läden mit einer Verkaufsfläche bis maximal 100 Quadratmeter. Das ist schon heute die Größe, die den Markt behauptet, die also offenbar funktioniert. Laut Cima können diese Kleinbetriebe die gesamte Sortimentliste anbieten.
Was soll der Stadtrat daraus nun beschließen?
Auch dazu äußert sich OB Paulick bisher nicht. Die Cima stellt aber klare Forderungen auf: Ein flächendeckendes Nahversorgungsnetz für ganz Görlitz, einen zentralen Einkaufsbereich in der Innenstadt, zwei weitere Versorgungsbereiche in Rauschwalde und eine Potenzialfläche für ein Grund- und Nahversorgungszentrum in Weinhübel.
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