Von Ralph Schermann
Bereits zum 17. Mal gibt es in Görlitz ein Sommersemester im Ost-West-Kolleg, und diesmal ist es ein ganz besonderes. In enger Gemeinschaftsarbeit des Instituts für kulturelle Infrastruktur Sachsen, der Hochschule Zittau/Görlitz, der Stadtverwaltung, des Landratsamtes, der Konrad-Adenauer-Stiftung, des Schlesischen Museums und des Vereins Kuznia Zgorzelec widmet sich das „Studium fundamentale“ offen für alle Bürger der „Epochenschwelle 1914“.
Es geht um ein zentrales geschichtliches Thema: Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg. Um sich, teilweise auch lokal, vielschichtig diesem Thema zu nähern, gab es den gesamten März über Vorträge und Führungen, bis zum Sommer folgen eine Reihe weiterer Veranstaltungen. Da untersucht der Kunstgeschichtler Andreas Bednarek die Architektur jener Jahre, vergleicht der Darmstädter Politologe Dieter Bingen die Jahre 1914 und 1989, stellt der Geschichtswissenschaftler Andreas Bracher aus Boston Fragen zur Schuld. Um Philosophie, um Theologie und sogar um musikalische Kriegseinflüsse geht es, und in der Erinnerungskultur natürlich auch um die beeindruckende Grabanlage auf dem Görlitzer Friedhof für die Opfer des Ersten Weltkrieges.
Einen ersten Höhepunkt erreicht die Veranstaltungskaskade „Epochenschwelle 1914“ heute mit einem offenen Studientag von 10 bis 14 sowie 15 bis 19 Uhr im Schlesischen Museum am Untermarkt. In Sachen Kunst zeigt Johanna Brade Kriegserfahrung als bildnerisches Thema auf und gibt damit schon einen Ausblick auf 2015. Dann wird das Schlesische Museum Görlitz die Sonderausstellung „Krieg und Kunst 1914/15 in Bildern“ präsentieren. Weitere Referenten widmen sich der Klangästhetik zur Moderne oder den Grenzverschiebungen in Folge des Ersten Weltkrieges. Dabei stehen Oberschlesien und die Minderheitenfrage im Mittelpunkt. Der Eintritt ins Museum ist frei.
Die Veranstaltung will auch zum Nachdenken darüber anregen, dass die Westorientierung unserer Republik alte Wurzeln hat. Die deutsche Erinnerung an den Ersten Weltkrieg konzentriert sich heute nämlich fast ausschließlich auf die Westfront. Kaum jemand kennt die von deutscher Seite geleitete Offensive von Gorlice-Tarnów (Südpolen, etwa 30 Kilometer an der slowenischen Grenze) vom 2. Mai 1915 mit ihren massiven Menschenverlusten, ohne die die anschließende Verdun-Offensive nicht möglich gewesen wäre. Zum Studientag wird heute auch darüber berichtet.