Von Elisabeth Herold
Durch den Bau des Einkaufskomplexes durch die Florana KG wird der Charakter unserer Stadt beeinträchtigt. Nicht nur Görlitz soll durch die architektonische Anpassung an das „veränderte Einkaufsverhalten der Kunden“ geprägt werden, wie uns Beispiele in Dresden (Prager Straße), Leipzig (Hauptbahnhof), Bautzen (Kornmarktcenter) und andere zeigen. Was geht hier vor? Laut Europastadt-Geschäftsführer Lutz Thielemann haben wir es hier mit dem veränderten Kaufverhalten der Bürger zu tun, das den Bau solcher Einkaufstempel angeblich unumgänglich macht.
Andere Aspekte sind ebenso möglich: Der Bau solcher Center verändert das Kaufverhalten der Kunden, indem es zu Bequemlichkeit erzieht. Deswegen sterben kleine Ladenstraßen aus. Der Mensch passt sich schnell an neue Gegebenheiten an, die sich die Wirtschaft einfallen lässt, um „Kaufkraft zu binden“. Durch den Bau von Einkaufscentern wird es bald ein Einheitsbild in deutschen Städten geben. Architektur hat einen entscheidenden Anteil an unserem Lebensgefühl und unserer Lebensqualität – im Gegensatz zu dem, was Herr Thielemann unter Lebensqualität versteht.
Und diese Einkaufskultur soll etwas mit Lebendigkeit zu tun haben? Nur weil im „toten Viertel“ der Berliner Straße wieder Menschen einkaufen gehen, um ihre innere Leere zu füllen? Ich denke davon wird dieser Teil der Straße auch nicht wieder lebendig. Vielleicht sollte der Begriff „Lebendigkeit“ zunächst definiert werden.
Floral verzierte Gemäuer
Im Wort Lebendigkeit steckt das Wort Leben. Dazu braucht es mehr als neue Einkaufsmöglichkeiten. Dazu braucht es menschenfreundliches Bauen, so wie Straßburg dies in der Gründerzeit getan hat. Natürlich war auch das neu, aber diese Architektur ergänzte das Stadtbild, fügte sich ein in das Ensemble der vergangenen Zeit.
Die Materialien spielten dabei eine bedeutende Rolle. Man baute mit Stein und verzierte das Gemäuer mit floralen Elementen. Vielleicht ist unsere Stadt nicht die strukturstärkste, was den Handel angeht, aber sie hat mehr Charakter als viele andere Städte durch ihr architektonisches Erbe aus verschiedenen Stilepochen. Wie Thielemann richtig schreibt: „Identität, Selbstbewusstsein und nationale Wahrnehmung“. Nutzen wir doch diesen „glücklichen Umstand“.
Gegen Einkaufskultur ist nichts zu sagen, aber dann bitte in kleinen individuellen Läden, die in historischen Häusern Platz finden und Menschen zum „Flanieren und Pendeln“ anregen. Und zwar nicht von Einkaufscenter zu Einkaufscenter, sondern von Laden zu Laden.
Nicht nur Mode- und Elektronikketten soll es geben, genauso wenig Fast-Food-Restaurants. Denn durch diese Ausstattung geht Individualität verloren. Es sollte Läden geben, deren Angebot eine Ergänzung darstellt und keine Alternative. Da sollten wir uns ein Beispiel an der Einkaufskultur der Vorkriegszeit nehmen. Die Aufschriften an alten Häusern verraten uns, wie damals verkauft und eingekauft wurde.
Cafès sollte es geben, die zur Pause einladen und die Kommunikation anregen und fördern, ebenso Hinterhofbühnen und andere kulturelle Begegnungsstätten. Denn zwischenmenschliche Beziehungen finden nicht nur in Haus und Wohnung statt oder in Spielsalon, Kneipe und Tanzlokal, sondern in jedem Moment. Da reicht das Aussuchen von Waren und das Verkaufsgespräch allein nicht mehr aus. Wenn wir Einkaufskultur beleben wollen, dann muss das mehr sein als bloßes Kaufen. Ein solches Einkaufen, wofür hier geworben wird, hat nichts mit essenzieller Kultur zu tun.
Durch eine belebte Ladenstraße zu flanieren, bedeutet draußen zu sein (und nicht vom Parkplatz ins Center hastend), natürliche Straßengeräusche im Hintergrund (nicht im überheizten Center von Musik berieselt), im Viertel präsent zu sein. Es bedeutet auch, Bekannte auf der Straße zu treffen und zu plaudern, stehen zu bleiben, sich Schaufenster anzusehen, den Duft von frischem Kaffee einzuatmen, ins Kino oder Theater zu gehen, im Buchladen zu stöbern, Kunsthandwerk zu erleben, mit Händlern vertraut zu werden, als Persönlichkeit wahrgenommen zu werden, und zwar vor und hinter dem Ladentisch: Einfach Mensch zu sein und kein Konsument.