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Görlitz ist für vier Tage eine russische Stadt

Immer wieder muss Renate Förster mit einem Weißbrot unter dem Arm auf das alte Wohnhaus zulaufen. Vor der Tür fragt sie dann stets den mit einem großen Koffer herausstürmenden Nachbarn, ob er denn in den Urlaub fährt.

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Von Ingo Kramer

Immer wieder muss Renate Förster mit einem Weißbrot unter dem Arm auf das alte Wohnhaus zulaufen. Vor der Tür fragt sie dann stets den mit einem großen Koffer herausstürmenden Nachbarn, ob er denn in den Urlaub fährt.

Für die 63-jährige Königshufenerin sind die ständigen Wiederholungen jeder Szene beim Dreh für den Film „Die alte Frau“ kein Problem: „Hier trifft man Menschen, lernt etwas und hat Spaß“, freut sich die arbeitslose Frau, die bereits im „Vorleser“ als Statistin mitgewirkt hat. In „Die alte Frau“ aber darf sie im Gegensatz zum „Vorleser“ sogar einen Satz sagen.

Seit Sonntag sind ein 30-köpfiges Filmteam aus Berlin sowie die beiden Hauptdarsteller Mirkus Hahn und Olga Kolb in Görlitz, um Szenen für den 30-minütigen Kurzfilm zu drehen. „Insgesamt 14 Drehtage sind geplant, davon zehn in Berlin und vier in Görlitz“, sagt Annika Geyer, die alle Szenen zu beobachten und Berichte zu schreiben hat.

Weil der Film in einer namenlosen russischen Stadt in den 1930er Jahren spielt, ist das Filmteam auf Görlitz aufmerksam geworden. Hier gibt es noch unsanierte Häuser, die ohne viel Aufwand die perfekte Kulisse für diese Zeit sind. Gedreht wurde am Sonntag in der Salomonstraße und am Bahnhof, gestern dann im Handwerk. Heute geht es gleich an vier Stellen weiter: in der Verrätergasse sowie in Langen-, Büttner- und Jüdenstraße. Zum Abschluss folgen morgen noch Szenen in der Hotherstraße. Dann soll der Film im Kasten sein.

Inhaltlich ist der Streifen eine biografische Hommage an den verfolgten russischen Schriftsteller Daniil Charms (1905 bis 1942), der das Buch „Die alte Frau“ schrieb. „Wir verbinden Elemente aus dem Buch mit der Biografie von Charms und eigenen Elementen der Autoren“, sagt Regieassistent Roy Herzog. Der 29-Jährige arbeitet genau wie alle im Drehteam und sogar die beiden Hauptdarsteller sowie Produzent Arto Buhmann ohne Gage. „Der Film ist eine sogenannte No-Budget-Produktion“, sagt Buhmann.

Film soll auf Festivals laufen

Die 50000 Euro Fördermittel, die das Team einwerben konnte, reichen nur für einen Teil der Technik und Unterkünfte. Alles andere funktioniert nur dank Sponsoring. Sogar die alten Kleider hat ein Theater dem Filmteam kostenlos ausgeliehen. Viele der Mitwirkenden sind einerseits von Charms begeistert, anderseits hoffen sie, mit ihrer Arbeit zu überzeugen und somit Folgeprojekte zu finden.

Gezeigt werden soll der Film auf Festivals. „Wir hoffen auf die Berlinale oder Cannes“, sagt Buhmann. Vielleicht wird der Streifen sogar bei arte oder 3sat laufen. Auch für die Statistin Renate Förster ist das Ergebnis spannend: „Man betrachtet einen Film anders, wenn man hinter die Kulissen geschaut hat.“