Görlitz steht

Professor Robert Heimann aus Görlitz hat die Faxen dicke. Seine Familie wohnt Am Stadtpark, und will ihn einfach nicht mehr, den Stau vor der Tür. „Wir wohnen im Gebäude Am Stadtpark 2A, schräg gegenüber vom Ständehaus und haben die Autokolonne sowohl westlich, Dr.- Kahlbaum-Allee- als auch nördlich- Am Stadtpark- vor der Nase. Wir können zwar das Grundstück per Auto verlassen, müssen uns aber bei der Rückkehr in die Kolonne einreihen, eine unzumutbare Alternative“, beschreibt Herr Heimann die Situation der vergangenen Tage. Und: „Das bedeutet, das wir effektiv in unserem Haus gefangen sind. Wegen der Lärm- -und Abgasbelästigung wird uns auch die Benutzung unserer Terrasse unmöglich gemacht.“
Deshalb hat sich Robert Heimann noch an Christi Himmelfahrt mit einer Mail an die Stadtverwaltung gewandt. Görlitz habe sich zur Entlastung des Verkehr nach Polen auf der A4 entschlossen, die Innenstadt für den Strom der polnischen Rückkehrer zu öffnen, heißt es darin. „Diese Maßnahme muss so schnell wie möglich rückgängig gemacht werden, um das Leben der Einwohner von Görlitz, durch die Pandemie sowieso eingeschränkt und erschwert, zu normalisieren“, so der Professor. Die mit den Staus verbundenen Gesundheitsrisiken treffen auch die betagten Einwohner des Seniorenheims im Ständehaus, eine Hochrisikogruppe, gibt er zu bedenken.
Alptraum vom März wiederholt sich
Der Megastau in und um Görlitz, er war zumindest in den vergangenen Tagen zurück. Bereits am Mittwochabend deutete sich an, was auf Görlitz zukommt. Beispiel City-Center: Eine Ausfahrt war da schon theoretisch nicht mehr möglich, weil sich der Stau durch die Innenstadt zog. Pech für Pendler. Für sie gab es nur die Chance, sich irgendwie an der Autoschlange vorbeizumogeln. Weniger erfreulich wurde es auf der Hospitalstraße. Sie war am Mittwoch vor allem mit polnischen Kleintransportern verstopft.
Der Stau auf den Straßen mitten in Görlitz, eine Seite des Problems. Die andere ist die Autobahn. 60 Kilometer Blechlawine schlängelt sich bis zur Abfahrt Bautzen-West. „Wir können den Verkehr aber kaum umlenken, weil auch die Nebenstraßen schon nahezu dicht sind“, sagt René Krause von der Polizeidirektion Görlitz am Donnerstagmittag. Alles, was man tun könne, sei über die Problematik zu informieren, damit sich die Fahrer auf den Stau einstellen können. Im Radio wird derweil schon vor „einer Einreise nach Görlitz“ gewarnt. Denn auch auf den Bundesstraßen 115 und 6 kommt es immer wieder zu Behinderungen.
Für all jene, die über die Grenze nach Polen wollen, gibt es freilich keine Alternativen – und mitunter ganz praktische Fragen. „Bei uns klingeln die Telefone heiß, die Menschen im Stau haben viele Probleme“, umschreibt es René Krause. So hätten schon mehrfach Frauen angefragt, ob man sie nicht aus dem Stau geleiten könne, weil sie ein dringendes menschliches Bedürfnis verspürten und sich nicht an den Straßenrand hocken wollten – unter den Augen all der Männer. Auch mit der Verpflegung ist es schwierig, denn an der Strecke und in der Stadt Görlitz hat am Feiertag kein Supermarkt geöffnet. Und wenn man allein in Görlitz sieben Stunden warten muss, bis man die Grenze passieren kann – wie ein Pole der Polizei schilderte, kommen unweigerlich Hunger und Durst. Die Polizei hat nach eigenen Aussagen keine Verpflegungsaktion geplant.
Bürgermeister Ursu und Gronicz protestieren
Die lokale Politik hat inzwischen reagiert. Der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu und Bürgermeister Rafał Gronicz aus Zgorzelec haben sich telefonisch über die aktuelle Situation an der Grenze ausgetauscht und am Donnerstag eine gemeinsame Erklärung verfasst. „Das die Schwierigkeiten an den Grenzübergängen durch die Feiertage sich wiederholen, ist nicht akzeptabel. Darunter leiden sowohl die Einwohner der beiden Städte an der Neiße als auch diejenigen, die unzählige Stunden in ihren Autos statt mit ihren Familien verbringen“, heißt es darin. Die Stadtoberhäupter appellieren erneut an polnische Regierungsstellen, vorausschauender zu agieren und entweder die Grenzkontrollen auszusetzen oder sie über die Feiertage anders zu organisieren.
„Die Situation ist für viele Anwohner untragbar und es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, hier eine schnelle Lösung zu finden“, fordert auch Professor Heimann. So jedenfalls könne und dürfe es nicht weitergehen. „Der nächste Stau kommt bestimmt, solange die Grenzkontrollen im gegenwärtigen Umfang anhalten“, findet er. Robert Heimann behält sich einen Gang vor Gericht vor, wegen einer einstweiligen Verfügung zum Verbot der Verkehrsumleitung durch die Görlitzer Innenstadt. „Ich hoffe jedoch, dass das nicht notwendig sein wird“, sagt er.
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