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Görlitzer Stadträte sollen für Fehler im Aufsichtsrat zahlen

Das Landgericht entscheidet am Freitag über die Schadenshaftungbei der Stadtreinigung.

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Von Sebastian Beutler

Im politischen Görlitz richten sich am Freitag alle Augen auf einen unscheinbaren Sitzungssaal im Landgericht. Dort wird ein Richter verkünden, wie hoch die Summe ausfällt, die ein früherer Geschäftsführer vom kommunalen Stadtreinigungsbetrieb und seine damaligen fünf Aufsichtsräte zu zahlen haben. Im Gespräch sind nochmals bis zu 280000Euro, nachdem der Geschäftsführer bereits 153 000Euro beglichen hat.

Streit seit fast zehn Jahren

Der Fall führt zurück in die turbulenteste Phase der Görlitzer Kommunalpolitik seit der politischen Wende. In den Jahren 1997 und 1998 ging es um die später erfolgreiche Abwahl des Oberbürgermeisters Matthias Lechner (CDU), um den ebenso später erfolgten Verkauf einer städtischen Deponie und den schließlich abgesagten Verkauf des stadteigenen Krankenhauses. Wie politisch mit den Folgen jener Jahre und den Anhängern von Lechner umzugehen ist, entzweit die Lager auch noch heute. Darum geht es hier auch.

Zunächst aber ist es eine Rechtsfrage bei der Stadtreinigung, die endgültig entschieden wurde. So kam das Landgericht Görlitz zur Auffassung, dass die Aufsichtsräte 1998 einem lang laufenden Vertrag in einem Moment zugestimmt hätten, als der Verkauf der Deponie absehbar war. Der Vertrag wurde vom neuen Eigentümer nicht übernommen. Die Stadtreinigung musste zahlen. Der Schaden: rund 440000Euro. Ex-OB Matthias Lechner nennt den Spruch ein „Fehlurteil“. Der Versuch, das Verfahren über den Bundesgerichtshof in Karlsruhe neu aufzurollen, scheiterte jedoch. So sieht sich der Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick (CDU) an das Urteil gebunden. Rückendeckung erhält er vom Regierungspräsidium, dessen Sprecher Holm Felber sagt: „Wir sind nicht die rechtsetzende Behörde, wir setzen das Urteil nur durch.“ Neben dem Ex-Geschäftsführer durchleben damit fünf ehrenamtliche Kommunalpolitiker die schwerste Zeit ihrer politischen Tätigkeit. Darunter sind der amtierende Landesgeschäftsführer der sächsischen CDU, Stephan Lechner, der Ex-Baubürgermeister von Görlitz, Jörg-Peter Thoms sowie der frühere OB-Kandidat der PDS, Klaus Keller. Schlimmstenfalls müssen sie jeweils bis zu 55000Euro zahlen.

Einzigartiger Fall

Ein Vorgang, den es so in Deutschland noch nicht gegeben hat: dem Deutschen Städte- und Gemeindebund ist kein ähnlicher Fall bekannt. Gewöhnlich haftet die Gemeinde für Fehler, die ehrenamtliche Räte begehen. Sie müssen schon sehr schwere Fehler begangen haben, damit sie selbst zur Verantwortung gezogen werden. Im Verwaltungsdeutsch heißt das „grob fahrlässig“. Während das Landgericht das in der Schwebe ließ, kommt nun ein nachträgliches Gutachten einer Dresdner Kanzlei genau zu diesem Urteil und heizt die Diskussion aufs Neue an. Wahrscheinlich aber steht der Gerichtsvollzieher nicht gleich am Montag vor der Tür der Aufsichtsräte. Zumal auch der Görlitzer OB es für möglich hält, dass der Stadtrat ihre Kollegen noch von der Zahlung erlöst. Sicher ist das aber nicht.