Von Antje Steglich
Im Morgengrauen können die Gohliser gestern ihr Dorf noch in Gummistiefeln erreichen. Bis etwa 7 Uhr steigt das Wasser aber so hoch, dass man nicht einmal mehr mit dem Auto durchkommt. Seitdem ist das 500-Seelen-Dorf von der Bundeswehr abhängig. Die schickt am Morgen die zweite Kompanie des Panzerpionierbataillons I aus Holzminden von einer Übung direkt an die Elbe – inklusive zwei Schwimmpanzern des Typs Fuchs. „Unser Auftrag ist, all jene rauszuholen, die rauswollen“, sagt Oberleutnant Heiko Berger. „Die Leute sind sehr dankbar, dass wir da sind.“
Die Transportpanzer fahren im Akkord, am Ortseingang wie auch an der S 88 bilden sich stetig kleine Menschenschlangen. Auch Anthony und sein Opa wollen nach dem Einkauf wieder zurück ins Heimatdorf. Angst vor den Soldaten oder dem Panzer hat der Achtjährige nicht. Ganz im Gegenteil. Schon am Vortag hat ihm die Familie viel vom Hochwasser 2002 und 2006 erzählt, Fotos und Filme gezeigt. So ist das jetzt mehr Abenteuer als Katastrophe. „Mein Freund Friedrich muss heute in Riesa in die Schule, ich habe frei“, erzählt der Schüler und freut sich schon darauf, seinem Kumpel von den Erlebnissen zu erzählen. Denn von den netten Soldaten kriegt Anthony nicht nur einen Saft, sondern er darf während der Fahrt sogar aus der Luke schauen, während die anderen Passanten auf den sechs, unerwartet bequemen Sitzen im Panzerinneren Platz nehmen. Der Knirps ist deshalb auch fast ein bisschen enttäuscht, als die Spritztour nach nur einer Minute vorbei ist. Auch der Opa, ein eingefleischter Gohliser, wirkt entspannt: „Es hat uns 2002 nicht erwischt, wir hoffen, das wird wieder so.“
Trotzdem hat man vorgesorgt. Die Lebensmittelvorräte sind aufgefüllt, Notstromaggregat und Gaskocher stehen bereit, die Autos sind in Sicherheit gebracht. „Jeder hat gewusst, dass das Hochwasser kommt“, sagt er. „Aber wir hätten nicht gedacht, dass es so schnell steigt“, meint dagegen Elke Kratkey. „Wir haben die ganze Nacht geräumt“, erzählt die Gohliserin und empfiehlt allen Nachbarn, sich schnell in Sicherheit zu bringen: „Wer schlau ist, lässt sich jetzt evakuieren, solange die Elbbrücke noch offen ist.“
Völlig unentschlossen wirkt dagegen ein junges Pärchen, das erst seit einem Jahr in dem kleinen Dorf wohnt. Es ist ihr erstes Hochwasser, und der Stress ist ihnen anzusehen. Ihre größte Sorge ist, am späteren Tag noch mal ins Dorf reinzukommen, um wenigstens die wichtigsten technischen Geräte wie Kühlschrank und Co. zu sichern. „Doch wie soll ich das wegkriegen?“, überlegt der junge Mann.
Dass die Sorgen durchaus berechtigt sind, bestätigt Oberleutnant Berger: „Wir fahren solange, wie es geht, solange es Wasserhöhe und Strömungsgeschwindigkeit zulassen.“ Eine Prognose wagt er nicht abzugeben, „das Wasser steigt wirklich schnell.“ Trotzdem werde es keine Zwangsevakuierungen geben, sagt Bürgermeister Ralf Hänsel (parteilos). Ab einem gewissen Pegel fahren die Shuttles aber nur noch raus. In den nächsten Tagen ist damit zu rechnen, dass auch Zschepa, Lorenzkirch und Kreinitz nur noch mit dem Panzer beziehungsweise Booten zu erreichen sind. Außerdem sorgt sich Hänsel um Röderau.
Um die B 169 zu schützen, ist ein Wall geplant. „Wenn die Straße zugeschüttet wird, läuft aber Röderau zu. Das sollte so spät wie möglich passieren“, hofft Hänsel. „Wir werden auch bei steigendem Pegel versuchen, diese Verbindung offen zu halten“, betont dagegen Albrecht Hellfritzsch, erster Beigeordneter des Landeskreises. Bis zum Abend wird der kleine Damm am Abzweig Moritz aufgeschüttet.