180 Menschen spazieren in Großenhain

Großenhain. Zehn Minuten vor 19 Uhr fällt der musikalische Startschuss. War Großenhains Hauptmarkt bis zu diesem Zeitpunkt noch menschenleer, strömen die Leute plötzlich aus allen Himmelsrichtungen. Zur deutschen Nationalhymne laufen Frauen, Männer, Kinder, Alte und Junge auf den Platz vorm Rathaus. Größtenteils schweigend oder nur miteinander wispernd werden sie gut 40 Minuten im strömenden Regen ihre Runde drehen.
All jene, die doch etwas sagen, machen keinen Hehl daraus, weshalb sie an diesem Montagabend - teilweise zum zweiten Mal in Folge - der Aufforderung zum Spaziergang in Anlehnung an die Montagsdemonstrationen 1989 in den sozialen Netzwerken gefolgt sind. "Es ist eine Schande, dass ich mir seit Wochen von einem Staat vorschreiben lassen soll, was ich zu tun und zu lassen habe! Dafür bin ich zur Wendezeit nicht auf die Straße gegangen", empört sich ein Großenhainer. In der Zeitung lesen will der 51-Jährige seinen Namen nicht. Nein, da stehe er morgen beim Chef gleich auf der Abschussliste.
Zwei ältere Ehepaare sind nach eigenem Bekunden gekommen, weil "dieser ganze Irrsinn mit den Kontaktsperren zu den eigenen Kindern" endlich aufhören müsse. Einer der Söhne habe aufgrund von mangelnden Aufträgen in einem kleinen, privat- wirtschaftlich geführten Betrieb schon Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Und die drei schulpflichtigen Enkel hockten zuhause. Und: "Eigentlich wollten wir vor fünf Wochen in den Urlaub weiter weg fliegen. Das erste Mal! Dem Geld renne ich heute noch hinterher", schimpft der 71-jährige Röderstädter und schüttelt den Kopf.
Ein anderes Problem hat dagegen eine sechsköpfige Familie aus Schönfeld zum Spaziergang geführt. Die Einschränkungen der Regierung wegen der Corona-Pandemie seien auch im Sinne der Jüngsten so nicht mehr hinnehmbar. Zwei, drei Wochen wären akzeptabel gewesen. Aber dass die Kinder nun wochenlang zu Hause sitzen und dazu verdammt wären, auf wichtige soziale Kontakte zu verzichten, dürfe nicht länger unwidersprochen bleiben.
Während die junge Frau im SZ-Gespräch ihr Anliegen erklärt, wendet sich die örtliche Polizei an die Teilnehmer. Wenn sich ein Organisator der bisher nicht angemeldeten Veranstaltung zu erkennen gebe, dürfe auch das Wort ergriffen werden, für was oder wogegen man eintrete.
Ein Angebot, was im Pfeifkonzert untergeht. Eine Kommunikation, so wird Großenhains Revierleiterin Sandra Geithner schließlich resümieren, sei zumindest an diesem Montagabend nicht gewünscht gewesen. Der Spaziergang wäre indes friedlich verlaufen. Straftaten seien nicht festgestellt worden, einzelne Ordnungswidrigkeiten würden im Nachgang geprüft und auch die sächsische Corona-Schutzverordnung wäre eingehalten worden.
Zum Thema Coronavirus im Landkreis Meißen berichten wir laufend aktuell in unserem Newsblog!