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Großenhainer kassieren über eine Million

Nach 18 Jahren ist es vollbracht: Die Stadt darf sich über ein stattliches Sümmchen im Rechtsstreit um das Naturerlebnisbad freuen.

Von Catharina Karlshaus
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Als das inzwischen umgebaute, neue Großenhainer Naturerlebnisbad im Mai 2019 wiedereröffnet worden ist, lief noch immer der jahrelange Rechtsstreit um die alten Mängel.
Als das inzwischen umgebaute, neue Großenhainer Naturerlebnisbad im Mai 2019 wiedereröffnet worden ist, lief noch immer der jahrelange Rechtsstreit um die alten Mängel. © Anne Hübschmann

Großenhain. Es gab Momente, da hat ihn der Gedanke daran um den Schlaf gebracht. Tage, in denen er seine Frau gebeten hat, man möge den Ort doch aus dem Portfolio der familiären Freizeitaktivitäten streichen. Und einsame Stunden, in denen der Glaube daran, dass am Ende doch alles gut werden würde, erloschen war. "Deshalb ist es für mich ein ganz emotionaler bewegender Augenblick, wenn ich heute sagen darf, es ist tatsächlich vollbracht", bekennt Tilo Hönicke.

Großenhains Stadtbaudirektor ist spürbar von einer großen Last befreit. Eine Last, die seit 18 Jahren vornehmlich auf seinen Schultern und denen seiner damit betrauten Mitarbeiter lag. Eine Last, die Naturerlebnisbad hieß und von Jahr zu Jahr größer zu werden schien. Doch nun ist es wirklich vollbracht. Die Stadt Großenhain hat eine Vergleichsvereinbarung unterzeichnet, die ihr die Zahlung von 1,125 Millionen Euro zusichert. Resultierend aus dem Beweisverfahren zu zahlreichen Mängeln des Naturerlebnisbades. Zahlbar bis 3. April 2020.

Eine Summe, die bis zum Donnerstagmittag bereits zur Hälfte auf dem städtischen Konto eingegangen ist. Und die gewissermaßen dafür entschädigt, dass es sich gelohnt hat, zu kämpfen. Knapp zwei Jahrzehnte lang dranzubleiben und auf das juristische Geschick des renommierten Anwalts Stephan Cramer aus Dresden zu vertrauen. 

Immerhin habe der Jurist vollbracht, was bisher anderen prozessierenden Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht gelungen ist. Während sich unter anderem Hannover oder Neckargemünd die Zähne an den planerischen Schnitzern von Rainer Grafinger - in den 1990er-Jahren gefeierter Spezialist für die Planung von Naturerlebnisbädern - ausgebissen haben, können sich die Großenhainer nun entspannt zurücklehnen. Zum einen sind sie endlich auch moralisch von dem Vorwurf entlastet worden, seinerzeit vielleicht doch etwas falsch entschieden oder abgenickt zu haben. Zum anderen hilft das gezahlte Geld gerade in Corona-Tagen wie diesen auch wirtschaften.

Und - nicht zu vergessen - über so manchen Selbstzweifel hinweg. Als am 17. April 2002 das Großenhainer Kulturschloss zur Wassermusik von Händel feierlich eingeweiht worden sei, wäre er unendlich erleichtert gewesen. Nach nur 18 Monaten intensiver Bauzeit habe ihn das Gefühl beschlichen, die Sanierung sei das Intensivste, was ihm jemals beruflich beschert worden ist. Doch weit gefehlt! "Knapp ein Jahr zuvor war das Naturerlebnisbad eröffnet worden. Wir hielten die Ideen des Planers Rainer Grafinger nicht zuletzt im Rahmen der Sächsischen Landesgartenschau 2002 wirklich für absolut klasse. Deshalb gingen wir auch gern das Wagnis ein, wohl wissend, dass es sich um ein Pilotprojekt in hiesigen Gefilden handelte", erinnert sich Tilo Hönicke.

Während das Kulturschloss vielversprechend seinen ersten Tagen entgegensah, blickte das Bad indes seiner zweiten Saison entgegen - und Tilo Hönicke wurde die mulmige Ahnung nicht los, dass da vielleicht doch etwas nicht stimmen könnte. "Wir hatten damals gar keine Erfahrung davon, wie der Prozess mit der natürlichen Reinigung so einer großen Wassermenge überhaupt funktionieren sollte. Aber mein baulicher Sachverstand und das physikalische Wissen reichten aus, dass ich begonnen habe, mir Sorgen zu machen", verrät Tilo Hönicke.

Dabei schien nach außen hin alles so neu und großartig! Noch nie war im Osten Deutschlands ein städtisches Naturbad mit einer so großen Wasserfläche gebaut worden. Ja, es gab noch nicht einmal ein bürokratisches Regelwerk für derlei zukunftsgewandte Projekte. Naturnahes, gesundes Baden in 4.000 Quadratmetern Wasserfläche, das die Besucher jubeln ließ und Großenhain in den Himmel der Ausgezeichneten katapultierte. 

Machte sich Tilo Hönicke längst im stillen Kämmerlein seine unguten Gedanken, zeichnete Sachsens damaliger Ministerpräsident Georg Milbradt  2003 das Naturerlebnisbad mit dem 1. Sächsischen Staatspreis für Baukultur aus. Konkurrenten wie die Landesbibliothek, das Universitätsklinikum und die Justizvollzugsanstalt konnten laut dem Urteil der Jury architektonisch nicht mit dem Bad in der Röderstadt mithalten. 

Das Jahr dieses Triumphs sollte just jenes werden, in welchem Großenhains Stadtbaudirektor indes zur Tat schritt. "Wir beantragten bei Gericht ein sogenanntes Beweissicherungsverfahren und traten damit die Lawine los", erklärt Tilo Hönicke. Abgesehen davon, dass längst andere Städte darauf aufmerksam geworden waren, dass an den planerischen Fertigkeiten des inzwischen  international polizeilich gesuchten Diplom-Ingenieurs Grafinger eine Menge nicht stimmen konnte. "Wir wussten damals nicht, dass es bis zum Jahr 2020 dauern würde, bis wir ein Ergebnis auf dem Tisch liegen haben werden."

Großenhains Stadtbaudirektor Tilo Hönicke kann ein Buch über all die Bauvorhaben schreiben, denen er in den letzten Jahrzehnten seine Handschrift aufgesetzt hat. Das Naturerlebnisbad zählt dazu. 
Großenhains Stadtbaudirektor Tilo Hönicke kann ein Buch über all die Bauvorhaben schreiben, denen er in den letzten Jahrzehnten seine Handschrift aufgesetzt hat. Das Naturerlebnisbad zählt dazu.  © Foto: Kristin Richter

Eines, das entsprechend dem Urteil der vom Gericht bestellten Sachverständigen bescheinigt, dass zahlreiche Planungsfehler vorliegen. Der gebürtige Österreicher, der gemäß früherer Statements über 20 Jahre sehr erfolgreich in der Schwimmteichbranche tätig gewesen sein soll, hat die technischen Anlagen offenbar unterdimensioniert geplant. 

Auch wenn er selbst in der vermeintlichen Anonymität der großen weiten Welt abgetaucht ist, habe Anwalt Cramer seine ganz eigene Strategie verfolgt. "Wir haben uns an jene gehalten, denen wir rechtlich noch habhaft werden konnten! Das bedeutet, wir haben eben nicht Herrn Grafinger, sondern die damaligen Versicherungen mit den vorliegenden Bürgschaften herangezogen", gibt Tilo Hönicke zu bedenken und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

Kein Wunder auch! Genau diese Tatsache, sei nun mal der kleine, aber ganz entscheidende Unterschied zu allen anderen geschädigten Städten gewesen. Mittlerweile genussvolle 1,125 Millionen Euro schwer. Gezahlt von den Versicherungen und ganz sicher eine Genugtuung  für Tilo Hönicke, den das Großenhainer Naturerlebnisbad nun endlich nicht mehr um den wohlverdienten Nachtschlaf bringen muss. Zumindest jenes in seiner alten Form. Immerhin ist das im Mai vergangenen Jahres nach einem Umbau eröffnete Areal wieder eine Art Pilotprojekt. Auch da müsse sich natürlich erst einmal alles einspielen, aber wenn das dann hoffentlich gelungen ist - geht Großenhains Stadtbaudirektor ganz sicher auch gern mal wieder selbst baden. 

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