Großenhainer demonstrieren gegen Beschränkungen

Großenhain. Eine Frau läuft gegen den Strom. Dabei wäre die Großenhainerin doch heute extra früher von der Arbeit in Riesa losgefahren, um pünktlich um sieben am Hauptmarkt sein zu können. Habe gegen diese "nervige und total familienfeindliche" Coronapolitik auf die Straße gehen und zusammen durch die Stadt laufen wollen. Friedlich und irgendwie einträchtig beieinander mit Gleichgesinnten. Eben so, wie sie es schon ein paarmal im Netz gelesen hätte.
"Aber sehen Sie, wer da vornweg läuft? In schwarzen Klamotten? Nee, da trotte ich ganz sicher nicht hinterher", empört sich die Mutter eines achtjährigen Jungen und zieht ihren ohnehin frierenden Sprössling kopfschüttelnd hinter sich her.
Beobachtet wird die Szenerie an diesem Abend auch von Großenhains Oberbürgermeister. Sven Mißbach, der bereits am vergangenen Montag erschienen war, um mit einzelnen Teilnehmern ins Gespräch zu kommen, lässt sich wieder nicht lange bitten. Wer sich die eine oder andere Sorge von der Seele reden will oder mal so richtig Dampf ablassen möchte, ist bei dem Verwaltungschef durchaus an der richtigen Adresse. Dafür sei er schließlich gewählt worden. Deshalb wäre er da.
Oberbürgermeister wieder dabei
Worauf Sven Mißbach jedoch Wert legt: Instrumentalisieren lasse er sich nicht. Keineswegs an Montagen wie diesem und auch sonst nicht, wenn es denn mal irgendeiner x-beliebigen Vereinigung eben so zu passe käme. Als parteiloser Oberbürgermeister sei er für alle Bürger da, und wenn er etwas zur Lösung momentaner Probleme beitragen könne, würde er das selbstverständlich gern tun. Danken, wie unlängst in den sozialen Netzwerken geschehen, müsse ihm für derlei berufliches Engagement indes niemand. Ganz im Gegenteil. "Abgesehen davon, dass es schon ein wenig fragwürdig ist, wen ich angeblich in einer Sache unterstütze, von der ich wiederum gar nicht weiß, wer dahinter steht, weil sich niemand offiziell dazu bekennt", gibt Sven Mißbach zu bedenken.
Immerhin: So wie in anderen sächsischen Städten auch wird zum sogenannten Spaziergang in Großenhain tatsächlich nur übers Internet eingeladen. Einen namentlich benannten Versammlungsleiter, jemanden, der sich damit auch für das Geschehen verantwortlich fühlt, gibt es nicht. Ganz bewusst, so argumentieren Facebook-Kommentatoren, um die derzeitigen hygienischen Anforderungen im Coronamodus umgehen zu können.

Und so macht die AfD-Stadtratsfraktion zwar keinen Hehl daraus, gemeinsam mit ihrem Landtagsabgeordneten Mario Beger ihre Runde um den Hauptmarkt und nun erstmalig über den Frauenmarkt, die Schlossstraße und die Mozartallee zu drehen. Sich freiwillig dafür den Hut aufsetzen wolle sich der 53-Jährige allerdings nicht. Statt sich in dieser Funktion dann möglicherweise um Verfehlungen hinsichtlich nicht eingehaltener Abstände oder der Straßenverkehrsordnung kümmern zu müssen, wolle er im Bedarfsfall lieber deeskalierend wirken. Denn verständlicherweise lägen die Nerven bei den Leuten blank. Sie hätten nach all den Monaten genug von den Einschränkungen jeglicher Art. Gleich nun, ob Erwachsene, Kinder, Alte, Junge, Eltern, Rentner, wirtschaftlich Selbständige oder Angestellte - die Folgen der Coronakrise gingen an niemandem spurlos vorüber.
"Und genau deshalb reihe ich mich in diesen stillen Protest mit ein! Einerseits als überzeugter Demokrat, der sich für die Verteidigung und Einhaltung unserer Grundrechte stark machen möchte. Und andererseits als Privatperson, die als Unternehmer selbst weiß, welche wirtschaftlichen Folgen jeder Tag dieser völlig überzogenen Beschränkungen mit sich bringen wird", bekennt Mario Beger. Wer die Demonstranten pauschal in gut oder böse, dafür oder dagegen eintüte, mache es sich zu leicht. Und analysiere an der Realität vorbei.
Röderstädter mit unterschiedlicher Motivation
Etwas, das auch Sebastian Bieler ablehnt. Der freischaffende Künstler und parteilose Stadtrat ist bereits zum zweiten Mal als Zaungast dabei. Aus purem Interesse sei er gekommen, um gewissermaßen mit eigenen Augen zu sehen, wer denn eigentlich die Menschen sind, die sich da montags jetzt plötzlich immer zusammen finden, und vor allem, was sie umtreibt, das zu tun. Leider allzu unbedacht würden gegenwärtig vorschnell Urteile über die mannigfaltigen Beweggründe der Teilnehmer landauf landab gefällt, ohne jemals vielleicht auch nur ein einziges Wort mit einigen von ihnen gesprochen zu haben. Aber genau das wäre wichtig. Unverzichtbar, wolle man sich ein sachliches Bild machen.
"Pauschalisierungen sind dabei immer falsch! Es ist grundverkehrt zu sagen, die oder der. Das gibt es nicht! Und ich habe auch nicht die oder der in Großenhain entdeckt", erklärt Sebastian Bieler. Stattdessen habe er in viele bekannte, aber durchaus auch in nicht vertraute Gesichter blicken können. Röderstädter mit ganz unterschiedlichen Motivationen.
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