Großer Auftritt für schuppige Großmäuler

Großdrebnitz. Der kolossale Karpfen hat an diesem Morgen noch einmal Glück. Mit dem Kescher holt Fischwirt René Kapocsi den glänzenden Giganten aus dem Hälterbecken der Fischanlage in Großdrebnitz. „Wir brauchen einen mit einem schönen, gelben Bauch für das Foto“, feuert Arnim Kittner seinen Angestellten an. Nach drei Versuchen landete das richtige Exemplar im Netz. Doch so richtig stillhalten will der glitschige Schönling für den Fotografen nicht. Stattdessen befreit sich der Spiegelkarpfen aus dem Griff mit einem beherzten Flossenschwung.
Mit einem Klatsch landet das Schuppentier nach einem Kescher-Zwischenstopp im rettenden Nass. Armin Kittner schaut in das Becken. In einem großen Netz tummeln sich etwa 100 Kilo Karpfen, ihre Schwanzflossen zucken in der Sonne. Langsam lässt der Fischwirt die Vorrichtung wieder ins Wasser. Wassertropfen stoben nach oben. Die schuppige Teichernte bekommt noch eine Galgenfrist bis zur Eröffnung der sächsischen Karpfensaison mit Abfischen an diesem Sonnabend in Großdrebnitz. Die Veranstaltung gibt den offiziellen Startschuss fürs Abfischen und den anschließenden Genuss der Großmäuler. Für Karpfenbotschafter Kittner ist aber das ganze Jahr Karpfenzeit.
Armin Kittner läuft ein paar Schritte. Die Hälteranlage in der Nähe von Bischofswerda zählt erst seit 1. Juli zu seinem Unternehmen. Seine Teichwirtschaft liegt in Petershain bei Niesky. Das sind knapp 50 Teiche mit 255 Hektar Wasser, manche davon sind klitzeklein, andere so groß wie 30 Fußballfelder. Ein Drittel seiner bewirtschafteten Teichfläche liegt im Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft. Land der tausend Teiche wird die Region auch genannt, wo das Anlegen von Fischteichen eine lange Tradition hat. Über den Zeitpunkt der Errichtung der ersten Teiche in der Oberlausitz schweigen die Quellen. Der älteste Nachweis führt ins Jahr 1248.
Damals wird das Zisterzienserinnenkloster St. Marienstern gegründet. Zum Besitz gehören laut Urkunde auch Teiche in der Parochie Crostwitz. Die zweite Erwähnung eines Teiches aus dem 13. Jahrhundert stammt vom 5. April 1284. Dieses Dokument bestätigt, dass der gegenwärtige und alle folgenden Besitzer des Königsteiches – der piscina regia – bei Niederkaina dem Domkapitel St. Petri in Bautzen den Kirchenzehnt entrichten müssen. Im 15. und 16. Jahrhundert entwickelt sich die Teichfischerei zu einem wichtigen Erwerbszweig in der Oberlausitz. Experten schätzen, dass es um 1550 etwa 1 000 Teiche in mehr als 150 Orten zwischen Lindenau und Lauban gab. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wachsen auch die Teichwirtschaften. Fische stopfen Mäuler.

Der Trilex rauscht durch die dösige Spätsommerstille in Großdrebnitz. Ein paar Angler holen sich ihr Abendessen aus dem Großteich. „Ich bin Fischer. Ich überlasse nichts dem Zufall“, sagt Armin Kittner und stiefelt weiter. Bereits als Kind hat der Oberlausitzer die Teiche in Kodersdorf umrundet. Damals heißt der Betrieb VEB, der Vater ist der Chef. Erst schaut der Knirps zu, dann hilft er selbstverständlich mit, mit dem Schulabschluss in der Tasche steht für ihn fest, dass auch er Teichwirt werden will. In der Fischereischule in Königswartha drückt der die Schulbank, in der Ingenieurschule für Binnenfischerei in Storkow hängt er noch ein Studium dran – und kehrt dann zurück in die Heimat.
Armin Kittner schaut sich um, der Aufbau vom Zelt hätte längst beginnen müssen. Ein Hubsteiger zum Abladen fehlt noch. Der 57-Jährige treibt zur Eile. Sein Tag hat bereits um 5 Uhr begonnen. „Ich war am Hälter, um zu schauen, wie es den gestern abgefischten Karpfen geht. Die ersten haben wir in diesem Jahr bereits im Juni aus dem Wasser geholt. Ich entscheide nach Bedarf und Notwendigkeit“, sagt der Fischerei-Ingenieur. Mit der Petershainer Fischwirtschaft macht er sich 1991 selbstständig, inzwischen gehören zur Unternehmensgruppe unter anderem noch ein Hofladen, ein Transportunternehmen und die Oberlausitzer Kunststoff GmbH. Zu ihrem Portfolio gehören selbstverständlich Produkte für den Fischereibedarf und Gartenteichbereich aus Glasfaserkunststoff.

Der Transporter mit dem Festzelt setzt sich Richtung Abfischplatz in Bewegung. Armin Kittner nickt zufrieden – und wirkt trotzdem ruhelos. Geht nicht, gibt es für den zweifachen Vater nicht. Nach der Wende macht er zuerst mit zwei Mitarbeitern weiter, inzwischen sind in der Gruppe 18 Mitarbeiter beschäftigt. „Ich hatte das Glück, dass ich bis 1990 beim VEB Binnenfischerei Kreba in unterschiedlichste Bereiche hineinschauen konnte“, sagt Armin Kittner. Mit dem Erfahrungsschatz, einer großen Portion Zuversicht und vor allem der Leidenschaft zu seinem Beruf begibt er sich auf den Weg, nimmt zum Karpfen bald weitere Fischarten wie die Karausche dazu und beginnt 1997 über eine Forschungskooperation mit der Universität St. Petersburg mit der Stör-Produktion.
Der Unternehmer zeigt auf eines seiner Lieferfahrzeuge. „No fish, no fun“ steht dort in großen Lettern drauf. „Kein Fisch, kein Spaß – das ist schon immer mein Motto“, sagt Armin Kittner. Und dieses Prinzip lebt er. Selbst auf seinem hellblauen, kurzärmeligen Oberhemd tummeln sich Störe. In der Woche kommt mehr als einmal Fisch auf den Tisch – von Karpfen blau, Wels geräuchert, Fischsoljanka oder mal eine Fischbüchse. Seine Frau Ines wie die Töchter leben längst die Leidenschaft mit und bringen dem Vater vom Besuch in Amerika eben ein Hemd mit Fischen mit. Die Nachzüglerin Emma hat gerade ihr erstes Ausbildungsjahr als Fischwirtin in Königswartha begonnen.
Die Jüngste der Kittners hat indes schon längst einen Ruf über die sächsische Landesgrenze hinaus. Seiner Hybridzüchtung aus Schuppenkarpfen und Karausche hat er 2013 den Namen „Emma-Fisch“ gegeben – und damit zuerst den deutschen, später sogar den internationalen Markt erobert. Die Neuzüchtung macht es dem Kormoran im wahrsten Sinne des Wortes schwer. Aufgrund des Baus der Emma-Fische mit breitem Körper und hohem Rücken kommen die tierischen Räuber bei ihren Angriffen nicht zum Zug. „Derzeit geht der Emma-Fisch hauptsächlich in Richtung Belgien“, sagt der Fischexperte .
Überhaupt bleibt das Wenigste seiner Fisch-Ernte in der Region. Über Dresden geht 80 bis 90 Prozent der Ware an Schlemmermäuler in Deutschland, wie Frankreich, die Niederlande und Belgien. Armin Kittner gönnt sich einen Moment der Ruhe. Nur das leise Plätschern das Wassers ist zu hören, das die Hälterbecken füllen soll. Ganz dünn fließt der Rinnsal. Die Gräben, die den Wasserzulauf normalerweise regulieren, lechzen nach Wasser. „Unsere Teiche in Petershain liegen relativ trocken. Wir müssen immer auf Regen hoffen“, sagt der Unternehmer. Beim heißen Sommer waren manche seiner Gewässer bis zu 28 Grad warm. Das mag der wechselwarme Karpfen sogar, schwierig wird es für das Großmaul, wenn Sauerstoff im Wasser fehlt und keine Fotosynthese mehr stattfinden kann. Dann müssen die Fische raus aus der Grube und können nicht erst im Herbst abgefischt werden. „Andererseits erlaubt es uns jetzt auch die wärmere Witterung bis in den Spätherbst länger als früher abzufischen. Die Fische stehen einfach viel besser in Teichen als in den Hälteranlagen. In diesem Jahr schätze ich, dass wir Mitte November fertig sind“, sagt Armin Kittner. Für ihn bleibt der Herbst zwar die Hauptsaison für den Karpfen. Sein erklärtes Ziel ist aber, den Kunden zu sagen, dass der weltweit bekannteste Speisefisch der Binnengewässer zu jeder Jahreszeit schmeckt.
Doch der Karpfen braucht noch mehr solcher Lobbyisten wie Armin Kittner. Während der Fischkonsum der Deutschen nach Angaben des Hamburger Fisch-Informationszentrums in den vergangenen Jahren bei rund 14 Kilogramm pro Kopf und Jahr lag, ist der Anteil der Karpfen an dieser Menge immer weiter geschrumpft – und liegt bei derzeit unter einem Prozent. Im Durchschnitt essen die Deutschen pro Person jährlich also etwa 2,4 Kilo Lachs, 2,3 Kilo Alaska-Seelachs, 2,2 Kilo Hering, 1,4 Kilo Thunfisch – aber bloß 111 Gramm Karpfen, obwohl der einheimische Friedfisch wohl zu den nachhaltigsten Schuppentieren zählt. Schließlich lebt und wächst er in Teichen, die oft schon seit Jahrhunderten als Teichwirtschaften genutzt werden, Artenvielfalt drumherum inklusive.

Libellen schwirren über die Großdrebnitzer Wasser. „Wir spüren langsam, dass die Kunden wieder mehr regionale Produkte kaufen wollen“, sagt der Ruhelose. Neben Karpfen und dem Emma-Fisch tummeln sich in seinen Teichen Karauschen, Störe, Welse, Hecht, Zander, Saiblinge und andere forellenartigen Leckerbissen. Wer Armin Kittner kennt, weiß, dass er längst über Neuzugänge für seine Teiche nachdenkt. Die Frage danach beantwortet er mit einem Lächeln und den Worten: „Fischer ist kein Beruf, Fischer ist Berufung. Auch nach 40 Jahren macht es immer noch Spaß.“ Dann stapft er zu seinen Mitarbeitern, treibt sie zur Eile beim Aufbau des Festzelts an. Ein bisschen wirkt es aus der Ferne, als ob er dabei sogar die aufgedruckten Störe auf seinem hellblauen Hemd in Bewegung setzen könnte.
Karpfensaisoneröffnung am 14. September Großdrebnitz, Bühlauer Straße 1 A, mit der Krönung der neuen Sächsischen Fischkönigin. Beginn ist 9.30 Uhr.