Von Mario Heinke
Zittau schwimmt noch in einer weißen Suppe. Als ich die Haarnadelkurve passiere, scheint die Morgensonne in Streifen durch den Wald. Das wird ein schöner Freitag! Meine Morgenmuffelstimmung hebt sich um ein Vielfaches. Der Sudetenblick an der Lückendorfer Kammstraße empfängt mich mit malerischer Kulisse. Endlose Nebelschwaden wabern noch über die Gipfel, als Punkt acht ein Bus am Hotel „Hochwaldblick“ hält. 23 Schüler der achten Klassen des Zittauer Christian-Weise-Gymnasiums und ihre Ethiklehrerin Mira Evers entsteigen dem Gefährt mit der Aufschrift „Sonderfahrt“. Einige Gymnasiasten sind mit Spaten bewaffnet, nur wenige Schüler tragen wetterfeste Kleidung und Stiefel.



Angela Bültemeier vom Eigenbetrieb Forstwirtschaft der Stadt begrüßt die Ankömmlinge und zeigt auf den Waldrand unweit der tschechischen Grenze. Dort warten bereits ihre vier Kollegen mit 1 600 Buchen- und 600 Fichten-Setzlingen sowie 100 Haselnusssträuchern. Auf einem 4 000 Quadratmeter großem Teilstück der Wiese sind Pflugstreifen gezogen.
Hiebe mit der Wiedehopfhaue
Eine halbe Stunde später stehe ich breitbeinig an der Ackerfurche und setze einen kräftigen Hieb mit einer Wiedehopfhaue. Das Gerät ist eine seltsame Kombination aus Axt und Hacke. Ein tiefer Schnitt sitzt im Acker. „Rausziehen und 90 Grad daneben mit der anderen Seite reinschlagen“, erklärt mir Denis Goldhahn den nächsten Arbeitsschritt. Als der zweite Hieb sitzt, bewege ich den Stiel nach vorn und wieder zurück. In das entstandene Loch stecke ich den Setzling und bedecke ihn mit Erde. Danach stehe ich auf und drücke mit den Schuhen den Boden fest. „So einfach ist das“, sagt die junge Revierförsterin. Mit zwei Fingern zieht sie leicht am Setzling und ist zufrieden, weil er im Boden bleibt. „Aha, ein Zugtest“ sage ich zu ihr und bin froh die Qualitätsanforderungen erfüllt zu haben. Die 29-Jährige lächelt und drückt mir den nächsten Setzling in die Hand. Nach einigen Wiederholungen spüre ich, dass ich Rückenmuskeln habe. Zufrieden schaue ich auf meine ersten Bäume und merke mir die Stelle: Zweite Furche hinter der Birke.
„Nicht mit der Wurzel nach oben!“, ruft Frau Goldhahn und hüpft über die Furche zu Selina. Ihre Mitschülerinnen amüsieren sich köstlich. Sie dreht den Buchen-Setzling mit der Wurzel nach unten, dann arbeiten die Mädchen weiter. Vier Jahre alt sind die kleinen Setzlinge schon, die haarige Wurzel ist ungefähr 20 Zentimeter lang.
Fünf Teams von Schülern mit jeweils einem Forstwirt sind über den Acker verteilt. Bio- und Chemielehrerin Simone Günzel gräbt sich als Einzelkämpferin durch die Furche. Ihre Kollegin Evers arbeitet mit einem Göttinger Fahrradlenker. Der spitze Spaten hat eine abstehende Fußraste und der Fahrradlenker sorgt mittels Hebelgesetzen dafür, dass dieses Gerät die rückenschonendere Technologie ist. Carolin Köster und Neele Polke kommen gut voran. Ich sehe, dass sie nicht zum ersten Mal in ihrem Leben Bäume pflanzen. Sie erzählen mir, dass sie im Gebirge wohnen. „Keine Stadtkinder“ bestätige ich mir die vorangegangene Beobachtung. Nicht alle Schüler stellen sich so geschickt an, trotzdem lugen zu Beginn der Frühstückspause schon viele Setzlinge aus den Furchen. Im Norden Buchen, am Waldrand Fichten. In der Pause füttert Frau Bültemeier die Schüler mit allerlei forstwirtschaftlichem Fachwissen, erklärt dass im Zittauer Gebirge jährlich zehn Festmeter Holz pro Hektar nachwachsen und nur fünf Festmeter pro Hektar geerntet werden. Ich nehme ihr das ab, auch wenn ich in den vergangenen Jahren den Eindruck hatte, dass im Stadtwald der Kahlschlag herrscht. So täuscht man sich.
Nach der Pause gehen die Jungs intuitiv zur Arbeitsteilung über. Sebastian Swoboda beugt sich mit einem Zollstock und einer Sprühdose über die Furche und markiert die Pflanzpunkte für die Fichten-Setzlinge in einem Abstand von einem Meter. Markus Tütemann und Petr Peuker graben die Löcher und fachsimpeln lautstark über diverse Computerspiele. Forstwirt Peter Steudtner folgt den Jungs geduldig auf den Fuß und pflanzt die Setzlinge. Es ist fast Elf. Ein Großteil der Fläche ist bepflanzt. Die Haselnusssträucher begrenzen die Schonung zum Acker hin. In dieser Woche soll noch ein Wildschutzzaun errichtet werden, um die Setzlinge vor Wild zu schützen. Besonders die Buchen-Setzlinge sind gefährdet, weil sie dem Wild besser schmecken als die Fichten, sagt Frau Bültemeier.
Klimagipfel als Ansporn
Die Pflanzaktion ist seit langer Zeit vorbereitet, denn sieben Schüler des Zittauer Gymnasiums engagieren sich seit Ende vergangenen Jahres in der weltweiten Kinder- und Jugendinitiative „Plant for the Planet“ (Pflanze für den Planeten). Ziel der Bewegung ist die Herstellung von Klimagerechtigkeit. Das ergebnislose Debakel beim UNO-Klimagipfel 2013 in Warschau hat die Gruppe um Aron Michel zusätzlich angespornt, selbst aktiv zu werden. Bei einem Workshop in Dresden wurden die teilnehmenden Schüler Umweltbotschafter. Sie überzeugen nun andere Kinder und Jugendliche bei der Umweltbewegung mitzumachen. Mit dem Verkauf einer fair gehandelten und CO2-neutralen Schokolade sowie Spenden wurden die Setzlinge, die rund 20 Cent pro Stück kosten, finanziert.
Als ich die Pflanzbrigade verlasse, denke ich an den Dezember zurück. Den Worten von damals haben die Schüler wirklich Taten folgen lassen, das beeindruckt mich. Nicht nur, dass sie selber zupacken, sie haben auch viele Gleichgesinnte gewonnen. Schon am vorigen Mittwoch waren die Fünftklässler des Gymnasiums am Jonsberg zugange und haben dort 250 Bäume gepflanzt. Nach Adam Riese macht das zusammen 2 450 Bäume an zwei Vormittagen. Frau Evers versichert mir, dass die Aktion weitergeht. Bald wollen sich Schüler der Umweltinitiative aus ganz Sachsen in Zittau treffen.
Wenn die Setzlinge in 30 bis 40 Jahren ihre volle Größe erreicht haben werden, werde ich Bäume und Sträucher wohl nur noch von unten betrachten können. Trotzdem bleibt das gute Gefühl, etwas sinnvolles getan zu haben.