Von Thomas Möckel
Pirna. Die Vorwürfe wiegen schwer: Eine Gruppe junger Männer, vermutlich Ausländer, soll am 18. März nach einem Fußballspiel des 1. FC Pirna gegen Reinhardtsdorf auf dem Sonnenstein Fans, Sportler und Mitarbeiter des Pirnaer Sportvereins attackiert haben – glaubt man einem Beitrag des ehemaligen Pirnaer OB-Kandidaten Tim Lochner im sozialen Netzwerk Facebook. Es geht um Schläge und Waffen, um belästigte Frauen, um „Heil Hitler“-Rufe, um zerrissene Kleidung. Aber was stimmt an dieser Geschichte?
Die Sache ist zwar längst ein Fall für die Polizei, doch die Angaben sind widersprüchlich, an den erhobenen Vorwürfen gibt es Zweifel, nicht alle lassen sich bestätigen. Dennoch sickerten die Anschuldigungen zunächst ungefiltert in die Öffentlichkeit, der Bericht darüber verbreitete sich rasch über die sozialen Netzwerke.
Tim Lochner, partei- und fraktionsloser Stadtrat und Vereinspräsident des 1. FC Pirna, hatte die Geschichte Anfang vergangener Woche nach außen lanciert. Der Beitrag fand sich erst auf der Facebook-Seite des Vereins, er teilte ihn später auf seiner privaten Seite. Darin schildert er detailliert, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Asylbewerbern und Fans sowie Mitarbeitern des Vereins gekommen sei, einer der Asylbewerber habe einen Schlagring und eine Kette bei sich gehabt.
Schon während des Spiels habe eine Gruppe „südländisch aussehender Männer“ Rufe wie „Heil Hitler“ und „Sieg Heil“ skandiert, Frauen seien unsittlich berührt worden. Außerdem, so erzählt Lochner einige Tage später, habe ihn nach dem Spiel eine Mannschaftsleiterin völlig aufgelöst angerufen. Sie habe große Angst gehabt, sich ins Auto auf dem Sportgelände gesetzt, alles verriegelt und sei eilig davongefahren, weil betrunkene Flüchtlinge am Eingangstor des Sportplatzes gepöbelt und gedroht hätten. Ebenso habe der Vereinschef Anrufe von Eltern der Spielerkinder erhalten, stets mit der Frage, ob sie überhaupt noch sicher zu Punktspielen fahren könnten. Und ein Nachwuchstrainer habe sogar eine offene Wunde am Kopf gehabt, die wohl von einem Schlag herrühre.
So detailliert die Schilderungen auch sind, die ganze Sache hat einen Haken.
Details nur vom Hörensagen
Nach anderthalb Wochen Ermittlungen und mehreren Zeugenaussagen kommt die Polizei zu einem überraschenden Ergebnis: „So, wie der Fall im Internet dargestellt ist, können wir ihn nicht bestätigen“, sagt Polizeisprecher Marko Laske. Fest steht nach Erkenntnissen der Fahnder bislang : Die Polizei war am 18. März auf den Sonnenstein gerufen worden, wo sie im Zeitraum zwischen dem nachmittäglichen Fußballspiel auf dem Sonnensteiner Sportplatz und dem für abends angesetzten Handballspiel in der nahe gelegenen Turnhalle mehrere Personen antraf. Laut Laske ermittelten die Beamten, dass es eine kleine Rangelei zwischen Deutschen und Ausländern gegeben habe, bei der auch das T-Shirt eines Deutschen zerrissen worden sei.
Sexuelle Übergriffe gegen Frauen hätten sich hingegen nicht bestätigt, ebenso sei nicht belegt, dass jemand Waffen bei sich hatte. Zwar habe laut Polizei ein an der Rangelei Beteiligter etwas aufblitzen sehen, dieser Umstand allein lasse aber noch nicht auf einen Schlagring schließen.
Allerdings erhärtete sich der Vorwurf, dass es während des Fußballspiels aus Richtung der Ausländer Heil-Hitler-Rufe gegeben habe. Die Polizei ermittelt jetzt in drei Fällen: Aufgrund der Rangelei wegen Körperverletzung, aufgrund des zerrissenen T-Shirts wegen Sachbeschädigung und aufgrund der Rufe wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Wie es allerdings zu der Rangelei kam, ist noch völlig unklar. Laut Laske sei man in dieser Sache kaum weiter, die Hintergründe müssten noch ermittelt und die Abläufe mittels Aussagen rekonstruiert werden. Zumindest ein vermeintlicher Zeuge dürfte den Beamten dabei wenig hilfreich sein.
Tim Lochner, der den Fall ausführlich bei Facebook beschrieb, war selbst zu dem Zeitpunkt gar nicht auf dem Sonnenstein – alle Details, sagt er, kenne er nur vom Hörensagen. Die Schilderungen hätten ihn dazu veranlasst, alles öffentlich aufzuschreiben – weil man so etwas nicht verschweigen dürfe.
Der Sonnenstein sei generell ein Problemfall, sagt Tim Lochner, die aktuelle Kriminalitätsstatistik bestätige dies. Die hohe Zahl von Straftaten, sagt er, dürfe in dem Gebiet kein Dauerzustand werden. Vergangenen Dienstag beantragte er im Stadtrat, dass bei künftigen Sitzungen stets ein Vertreter der Polizei dabei ist, um sich über die aktuelle Lage auszutauschen und notfalls Lösungen daraus abzuleiten.
Aus Sicht der Stadt hingegen ist die Lage auf dem Sonnenstein längst nicht so kritisch wie beschrieben. Es gebe viele Initiativen, die mit ihren Angeboten dafür sorgen, dass das Gebiet gerade kein sozialer und krimineller Brennpunkt werde. Dennoch will das Rathaus jetzt die Nachtstreifen auf dem Sonnenstein verstärken und gemeinsam mit Vereinen und Sozialarbeitern weitere Angebote für Jugendliche prüfen.
Die Polizei sucht unterdessen Geschädigte und weitere Zeugen, um den Sachverhalt vom 18. März aufzuklären.
Kontakt Polizei: Tel. 0351 4832233