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Halbe Kraft voraus

Tendenz. Lieber kürzen statt entlassen: Auf dem Arbeitsmarkt steigt die Zahl der Teilzeitkräfte – auch im Kreis Kamenz.

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Von Doreen Hübler

Die Gürtel werden immer enger geschnallt. Auch in Sachen Arbeitszeit. Was einst ein Privileg für Frauen mit Kindern war, müssen nun viele Arbeitnehmer wohl oder übel in Kauf nehmen: die Herabsetzung ihres wöchentlichen Stundensatzes. Auch im Landkreis Kamenz nimmt die Zahl der Teilzeit-Beschäftigten zu. Die SZ hat drei Personen nach ihren Praxis-Erfahrungen befragt.

Lehrer: „Neuerdings habe ich jeden Dienstag frei“

Diethart Sieberth hat seit einigen Monaten jeden Dienstag frei – gezwungenermaßen. Der Lehrer bekam die Kürzungen auf dem Bildungssektor deutlich zu spüren. Anfang des Jahres wurde der Stundensatz der gesamten Belegschaft des Großröhrsdorfer Ferdinand-Sauerbruch-Gymnasiums zusammengestrichen, alle Pädagogen sind inzwischen auf Teilzeit-Basis beschäftigt. Lediglich der Direktor und sein Stellvertreter haben ihre regulären Stellen behalten.

„Die Stimmung im Kollektiv war nach dieser Entscheidung sehr bedrückend“, sagt der 38-Jährige. Er selbst wurde von einst 40 Stunden auf 25 Stunden herabgesetzt. „Da ich einen langen Anfahrtsweg habe, verteile ich meine Stunden über vier Tage und bleibe den fünften Tag eben zu Hause“, sagt er. An besagtem Dienstag, der allerdings zum großen Teil für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts reserviert ist. „Das ist ja die Tücke des Systems“, sagt Sieberth. „Man wird zwar in der Stundenzahl herabgesetzt, der Aufwand für bestimmte Tätigkeiten bleibt jedoch gleich.“

Ob nun Elternabende, das Engagement in Arbeitsgemeinschaften oder die Korrektur von Klassenarbeit – es entstehe unweigerlich ein Mehraufwand, der allerdings nur schwer berechnet werden kann. „Ich unterrichte unter anderem Ethik“, sagt Sieberth. In diesem Fach müsse man für die Durchsicht einer Klassenarbeit mindestens eine Dreiviertelstunde einplanen – Zeit, die quasi unbezahlt bleibt. Ein Missverhältnis, das Diethart Sieberth wütend macht. Auch, weil das geschrumpfte Einkommen ein Loch in die Familienkasse reißt. „Ich bin der Hauptverdiener“, sagt er. „Wenn mein Lohn sich verringert, ist das ein erheblicher Einschnitt. Durch die Kürzung befinden wir uns in einer finanziell schwierigen Situation.“

Angestellte: „Mehr zeit für haus und Hof“

Agnes Delenk hat fast ihr gesamtes Berufsleben auf Teilzeit-Basis gearbeitet. Erst, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben. Später, weil sich der Sprung zur Vollzeit-Beschäftigung als schwierig erwies. „Es hat sich einfach nie wieder die Chance auf eine 40-Stunden-Stelle ergeben“, sagt sie. „Und nach der Wende war man doch froh, dass man überhaupt einen Job hatte.“ Die 50-Jährige arbeitet in der Verwaltung der Wohnpflegegemeinschaft „Sankt Georg“ in Kamenz. Insgesamt 30 Stunden beträgt ihr wöchentliches Arbeitssoll. Ein Stundensatz, den sie auf fünf Tage verteilt – um eine gewisse Kontinuität zu wahren. „Die Aufsplittung war mir wichtig“, sagt die studierte Lebensmitteltechnologin. „In dieser Zeit kommt man problemlos zu etwas.“ Außerdem sei sie auf diese Weise jeden Tag am Arbeitsplatz und bekomme regelmäßig etwas vom Geschehen mit. Agnes Delenk ist kein Einzelfall. In der jüngeren Vergangenheit seien immer mehr Mitarbeiter der Betreuungseinrichtung auf Teilzeit-Verhältnisse herabgestuft worden. „Das ist eben eine neue Entwicklung“, sagt Agnes Delenk. „Man will die Leute nicht entlassen, dafür kürzt man die Arbeitszeit.“ Im Kollektiv gäbe es keine Vorbehalte gegen Kollegen mit einem niedrigeren Stundensatz. „Man muss ja trotzdem gute Arbeit leisten“, sagt sie. Und schließlich nehme sie ja auch ein niedrigeres Gehalt in Kauf. „Aber ich kann mit dieser Einschränkung gut leben“, sagt Agnes Delenk. „Je älter man wird, desto mehr strengt die Arbeit an. Man braucht Zeit, um wieder aufzutanken, um die Anforderungen zu bewältigen.“ Gemeinsam mit ihrer Familie habe sie ein Haus mit großem Garten – eine Verpflichtung, der die verkürzte Stelle zugute kommt. „Früher waren es die Kinder, die mich von einer vollen Stelle abgehalten haben, inzwischen ist es meine Freizeit.“

Krankenschwester: „Familie hat Priorität“

Annette Wutzler ist überzeugte Teilzeit-Arbeiterin. „Meine Familie hat Priorität, deshalb habe ich mich für eine halbe Stelle entschieden.“ Die 42-Jährige arbeitet als Krankenschwester in der Psychiatrischen Klinik Arnsdorf. 20 Stunden absolviert sie pro Woche auf der Entgiftungsstation. Die restliche Zeit verbringt sie mit ihrer Familie und – im Hörsaal. „Ich studierte nebenbei Pflegewissenschaft“, sagt sie.

Den Wechsel auf eine 40-Stunden-Stelle kann sie sich in der nahen Zukunft nicht vorstellen. Zumindest so lange nicht, wie der Nachwuchs noch im Haus und der Abschluss nicht in der Tasche ist. „Die Aufteilung ist ideal“, sagt Annette Wutzler. „Ich bin nicht die klassische Frau am Trog, kann mich aber trotzdem um die Familie kümmern.“

Auch in finanzieller Hinsicht sieht sie kaum Nachteile. „Ich bin durch meine Arbeitszeit in einer günstigen Steuerklasse registriert“, sagt die Krankenschwester. In der Klinik gäbe es mittlerweile viele Kollegen, die auf Teilzeit-Basis beschäftigt sind. „Einige von ihnen würden sicher gern voll arbeiten“, sagt sie. „Aber theoretisch sind halbe Stellen ein gutes Modell, schließlich stehen einfach nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung, deshalb sollte man sich die verfügbaren Stunden teilen.“ Im Krankenhaus-Kollektiv reagiert man gelassen auf die Teilzeitkräfte. „Manchmal ist vielleicht Argwohn mit dabei“, sagt Annette Wutzler. „Es entsteht Neid, weil ich eine andere Zeit-Einteilung habe als jemand, der 40 Stunden arbeitet.“