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„Haltet den Dieb“

Es gibt Momente, da könnte Dr. Ute Nawroth aus der Haut fahren. Dabei ist die Ärztin ein eher ruhiger Typ. Doch wenn die Bundesgesundheitsministerin Sätze wie „Wer von den Toten nimmt, der scheut auch vor den Lebenden nicht zurück“ vor laufender Kamera sagt, bringt sie das auf die Palme.

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Von Renate Berthold

Es gibt Momente, da könnte Dr. Ute Nawroth aus der Haut fahren. Dabei ist die Ärztin ein eher ruhiger Typ. Doch wenn die Bundesgesundheitsministerin Sätze wie „Wer von den Toten nimmt, der scheut auch vor den Lebenden nicht zurück“ vor laufender Kamera sagt, bringt sie das auf die Palme. Oder wenn sich Krankenkassen-Vertreter als Moralwächter der Nation aufspielen und „Haltet den Dieb“ rufen, um von eigener Verantwortung abzulenken. „Die Ärzte werden wie keine andere Berufsgruppe kriminalisiert“, sagt die Orthopädin aus Radebeul. „Als wären alle Abzocker und Betrüger.“

Dass es so wie in jeder Branche auch unter Ärzten schwarze Schafe gibt, das ist der Medizinerin wohl klar. Jüngstes Beispiel ist der Vorwurf, Ärzte würden Leistungen für bereits Verstorbene abrechnen. Wenn es einen Betrugsverdacht gibt, muss der Staatsanwalt ermitteln, sagt sie. Ohne Pardon. Und fragt sich, wieso sich jetzt Kassenvertreter hinstellen und behaupten, manche Ärzte würden das schon jahrelang oder sogar jahrzehntelang tun. „Da hat die Kontrolle der Krankenkassen versagt“, so Ute Nawroth, „denn nur sie können die patientenbezogenen Daten überprüfen.“ Und das ärgert sie, denn was sich andere illegal einheimsen, das geht vom Einkommen der Kollegen weg. „Hier werden nicht Kassen oder Patienten betrogen. Das geht auf Kosten der anderen Mediziner, weil die Kassen eine Gesamtsumme überweisen, die unter den Ärzten aufgeteilt wird.“

Von den Krankenkassen erwartet die Orthopädin eine zeitnahe Kontrolle der Abrechnungsdaten. Und dass bei einem Kassenwechsel oder dem Tod eines Versicherten die Chipkarten eingezogen werden. Sie hat es selbst schon erlebt, dass Versicherte mehrere Chipkarten bei sich hatten und nicht genau wussten, welche gültig ist. „Wenn zu uns ein Patient mit einer falschen Chipkarte kommt, dann merken wir das oft gar nicht, es sei denn, das Geburtsjahr lässt uns an der Identität zweifeln. “

Statt Kollektivschelte zu verteilen, sollten alle Beteiligten gemeinsam überlegen, wie das Gesundheitssystem transparenter gemacht werden kann. „Ich bin nämlich gern Ärztin und würde mich jederzeit wieder für diesen Beruf entscheiden“, sagt die Orthopädin. Ich bin aber nicht mehr bereit, mich bei meinen Patienten in Misskredit bringen zu lassen.