Der Handel über den Zaun floriert

Aus der kleinen Grenzstadt Jiříkov (Georgswalde) führen drei Grenzübergänge nach Deutschland. Seit Mitte März sind alle zu. Doch die Ware läuft weiterhin über die Grenze. Und das, obwohl gemeinsame Wachen von tschechischer Polizei, Armee und Zoll den Übergang bewachen. Wie die SZ selbst beobachtete, verkaufen die tschechischen Händler wenige Meter vom Grenzposten entfernt ihre Waren über den Grenz-Zaun hinweg, vor allem Zigaretten.
Ob das erlaubt ist? „In den Regelungen wird die Frage des kleinen Handels nicht beantwortet. Nirgendwo steht genau, ob es erlaubt oder verboten ist“, erklärt der Bürgermeister von Jiříkov, Michal Maják.
Zollrechtlich gilt aber: der Handel über die geschlossene Grenze hinweg ist strafbar. Denn, wie das Hauptzollamt Dresden erklärt, handelt es sich dabei nicht um einen normalen steuerfreien Kauf laut Tabaksteuergesetz. Erwirbt man die Zigaretten in einem anderen EU-Mitgliedsstaat und bringt sie selbst über die Grenze, ist das in Ordnung. Zumindest in den vorgegebenen steuerfreien Mengen zum Eigenbedarf. Wird die Ware aber über die geschlossene Grenze hinweg verkauft, wird die Tabaksteuer fällig. Und zwar in dem Moment, in dem sie in Besitz genommen wird. Meldet der Käufer das nicht beim Zoll an, gilt das als strafbare Steuerhinterziehung. Darauf weist das Hauptzollamt hin.
Auf die regen Handelskontakte an der Grenze haben den Bürgermeister von Jiříkov mehrere Einheimische aufmerksam gemacht. Sie können den Rummel direkt von ihren Fenstern aus beobachten. „Während kurzer Zeit sind sechs Autos gekommen. Niemand ist aber über die Grenze rüber gegangen“, bestätigt ein Bewohner der SZ. Er beobachtet die Lage an der Grenze zwischen Jiříkov und Ebersbach an der Bahnhofstraße. Dort haben die tschechischen Wachen ein Wohnmobil aufgestellt.
„Nur ein paar Meter weiter spielen sich bei einer Sperrschranke die Geschäfte ab“, beschreibt der Anwohner. Von der deutschen Seite kommt ein Pkw. Der Fahrer gibt seine Bestellung einer vietnamesischen Händlerin, die auf der anderen Seite der Grenze schon wartet. Boten holen dann die gewünschten Waren, beschreibt der Augenzeuge.
Getrennte Familien treffen sich
Auf dem Wunschzettel stehen meistens Zigaretten und Alkohol, aber auch Farben oder Lebensmittel. Alles wird eingepackt in schwarzen Säcken über den Grenz-Zaun gereicht. Erlaubt oder illegal? Und warum schreitet der Grenzposten nicht ein? Polizeisprecherin Jana Slamová erklärt: "An den geöffneten Grenzübergängen kann man Privatsachen übergeben, ohne die Grenze zu übertreten und unter Einhaltung aller Quarantänemaßnahmen."
Tschechiens Polizei helfe bei der Übergabe. Damit wolle man verhindern, dass illegale Dinge, wie zum Beispiel Drogen, über die Grenze gebracht werden. Geöffnet sind die Übergänge Rumburk und Lückendorf tagsüber für Berufspendler. Und ein Polizist erklärt, man dürfe die Grenze nicht übertreten. Ob man sich Sachen rüberreichen dürfe, davon steht nichts in den Bestimmungen.
Über die Grenze geht nicht nur Ware. Es treffen sich dort auch getrennte Familien, vor allem von Berufspendlern. Sie überreichen sich Dokumente, Privatsachen oder frische Wäsche. Die tschechische Polizei toleriert es, bestätigte Jiříkovs Bürgermeister Maják. Auch er hat bei der Polizei angefragt, ob diese Praktiken an der Grenze erlaubt sind. Die Stadt bekam daraufhin die Empfehlung: Wenn sie Probleme damit hat, soll sie sich die Grenze selber bewachen. Heißt also: Keinen stört es, wenn weiter über die Grenze hinweg gehandelt wird. Oldřich Podzimek aus Jiříkov, dessen Sohn in Seifhennersdorf arbeitet und der immer täglich über die Grenze zur Arbeit pendelte, erzählt: „Uns haben die Polizisten sogar selbst zum ehemaligen Lkw-Übergang geschickt, damit wir Wäsche übergeben konnten."
Minister macht Hoffnung auf Grenzöffnung
Inzwischen regt sich hierzulande viel Widerstand gegen Corona-Beschränkungen. Dazu zählt die eingeschränkte Reisefreiheit. Auch die tschechischen Nachbarn sehnen sich nach Normalität zurück. „Es dauert schon sehr lange. Die Zeit ist reif für Lockerungen", sagt Bürgermeister Michal Maják.
Inzwischen gibt es tatsächlich Hoffnung, dass Reisen nach Tschechien bald wieder möglich sein werden. Der tschechische Außenminister Tomáš Petříček äußerte sich in seinem Blog positiv zu gänzlichen Grenzöffnungen mit Deutschland und Österreich ab Juli dieses Jahres. "Ich denke, dass wir ab Juli wieder zum normalen Betrieb des Schengen-Raums zurückkehren können", sagte er. Dies allerdings unter dem Vorbehalt der weiter guten Entwicklung der Infiziertenzahlen - insbesondere in Deutschland.
In einer früheren Version des Beitrags beichteten wir, dass die deutschen Behörden sich nicht eindeutig zur Frage "illegal oder nicht" äußern. Das hat das Hauptzollamt Dresden inzwischen nachgeholt. Die Anmerkungen sind in die aktuelle Version eingefügt.