Von Sandro Rahrisch und Bettina Klemm
Eine Farbe stört den Nachbarschaftsfrieden: Als Jürgen Stiller sein Haus ultramarin-blau anstreicht, wird es einigen Langebrückern zu bunt. Sie beschweren sich im Rathaus. Die Farbe, die es auf die Flagge von Barbados und die Rettungsfahrzeuge des Technischen Hilfswerks geschafft hat, harmonisiere nicht mit denen der anderen Fassaden in der schmalen Kirchstraße. Baubürgermeister Jörn Marx muss nun klären: Wie bunt dürfen es die Dresdner treiben?
Bunte Häuser in Dresden
Im Stadtgebiet gibt es unterschiedliche Vorschriften. Die können in einem Bebauungsplan oder einer Satzung stehen. „Für Langebrück ist 1995 eine Gestaltungssatzung verabschiedet worden, um den unverwechselbaren Ortscharakter zu erhalten“, sagt Marx. Erlaubt sind hier nur helle und gebrochene Farbtöne, alles, was leuchtet, verstoße gegen die Satzung.
Und dabei findet Dresden gerade zurück zur Farbe: In der DDR war der Fassadenanstrich teuer und hielt auch nicht besonders lange – ein Riesenkontrast zur barocken Bauzeit. Besonders in der Frühphase dominierten kräftige Farben. Sie sollten die prächtige Wirkung der Bauwerke steigern, Kraft und Bewegung symbolisieren.
Für den Neumarkt gibt es sogar ein Farbkonzept, das sich daran orientiert, wie bunt die Häuser hier früher waren. „Es dient als Grundlage für die Erarbeitung von Bebauungsplänen und Gestaltungssatzungen“, so Marx. Damit soll genau jenes Farbspektrum eingehalten werden, um die historische Charakteristik des Neumarktes wieder aufleben zu lassen. Widersprüche oder Ausnahmen diskutiert die beratende Neumarkt-Gestaltungskommission.
Dass eine graue Fassade durchaus aufs Gemüt drücken kann, weiß auch der Münchener Wohnpsychologe Uwe Linke. Mit Farben verbinden Menschen Wärme und Geborgenheit, sagt er. Das schafft vor allem Orange. Kühle Töne wie Grün würden dagegen distanzierter wirken. Letztendlich entscheiden die Größe und die Lage des Hauses, wie Betrachter Farben wahrnehmen, als überwältigend, strapazierend oder dezent. Grelle Farben würden deshalb oft nicht passen, weil sie mit den Fassadenanstrichen der anderen Häuser nicht harmonieren.
Deshalb schaut das Dresdner Bauamt genau hin: „Bei einem Neubau oder einer genehmigungspflichtigen baulichen Änderung prüfen wir das Farbkonzept“, sagt Marx. Die gestalterische Beratung des Bauherrn sei kostenfrei. Unterschiedliche Auffassungen seien normal und würden beinahe täglich vorkommen. In den meisten Fällen könnte der Bauherr allerdings zur Einsicht gebracht werden. Widersprüche würden so zu 99 Prozent von vornherein ausgeräumt. Sanktionen habe es in den letzten Jahren nicht gegeben. Bei denkmalgeschützten Gebäuden darf die Stadtverwaltung sowieso Einfluss nehmen. Freie Farbauswahl haben Hausbesitzer nur dort, wo es keine Vorschriften gibt.
Während Langebrück noch über Ultramarin-Blau spricht, sieht der Bundesverband Deutscher Fertigbau den Mut zur Farbe erloschen. „Neue Häuser werden wieder traditionell gestaltet“, so Geschäftsführer Dirk-Uwe Klass. Der Trend: Verzicht auf zu viel Farbe. Gerade in unruhigen Zeiten sei die Sehnsucht nach Harmonie eben groß.