SZ +
Merken

Heino und seine Musen

Ein sächsischer Bildhauer arbeitet in Pirna-Rottwerndorf am Schmuck für Preußens Prachtbauten.

Von Jörg Stock
 5 Min.
Teilen
Folgen
„Wenn es so läuft, gefällt mir das.“ Heino Lembcke, 60, ist der Spezialist fürs Figürliche bei den Sächsischen Sandsteinwerken in Pirna. Zurzeit arbeitet er an der Muse Polyhymnia fürs Potsdamer Landtagsschloss.
„Wenn es so läuft, gefällt mir das.“ Heino Lembcke, 60, ist der Spezialist fürs Figürliche bei den Sächsischen Sandsteinwerken in Pirna. Zurzeit arbeitet er an der Muse Polyhymnia fürs Potsdamer Landtagsschloss. © Daniel Schäfer

Polyhymnia ist nackig. Dabei beginnen die Tage im Gottleubatal in Pirna-Rottwerndorf ziemlich frostig. Zwei, drei Grad unter Null zeigen die Thermometer an. Der Dame kann’s egal sein. Sie ist aus Gips. Heino Lembcke ist es auch egal, obwohl er aus Fleisch und Blut ist und an der Muse Präzisionsarbeit zu leisten hat. Bis minus zehn, sagt er, hat er kein Problem. Er zieht nicht mal Handschuhe an. „Ich muss das Eisen bei der Arbeit spüren.“

Was Heino Lembcke, der Chefbildhauer der Sächsischen Sandsteinwerke, da unterm Meißel hat, gehört zur Keimzelle des Gesamtkunstwerks Potsdam, zum einstigen Stadtschloss, Residenz Friedrichs des Großen, im Weltkrieg zerbombt und verbrannt, die Reste in der DDR gesprengt, und nun wieder auferstanden, als Sitz des Brandenburger Landtages. Seit 2014 arbeiten Abgeordnete hinter den rekonstruierten Fassaden. Doch die Krönung fehlt noch: der Figurenschmuck auf dem Dach.

Eigentlich war der Aufbau der überlebensgroßen Plastiken gar nicht eingeplant. Fünfstellige Summen müssen je Exemplar veranschlagt werden. Spendengeld machte es nun möglich, einen Teil der Figuren doch in Auftrag zu geben. Dabei handelt es sich um sogenannte Musen, also jene mythischen Weibsbilder, die nach antiker Vorstellung den Künstlern ihre Ideen eingeben. Zwei davon entstehen bei den Sächsischen Sandsteinwerken, im Schauer von Heino Lembcke.

Der Sechzigjährige aus Dresden gehört praktisch zum Inventar der Firma. Seit 44 Jahren arbeitet er hier im Sandstein. Dennoch sind Aufträge wie dieser etwas Besonderes für ihn. Schon den Stein für ein derart großes Werk aus dem Bruch zu gewinnen, ist ein Kunststück, sagt er. Nun ist es an ihm, das Kunststück zu vollenden. Angespannt wirkt Lembcke dabei keineswegs. Im Gegenteil. Er freut sich über das kolossale Format. Figuren hat er sowieso am liebsten. „Das sind die Highlights.“

Eines der Highlights hat er sogar schon fertig: Terpsichore, die Muse des Tanzes. Mit Laute und Tambourin ausgerüstet, wartet sie im Nachbarschauer auf die Abreise. Bis aufs Haar gleicht sie ihrem angewitterten Vorbild, das ins Depot zurückkehren wird. Die Auftraggeber waren sehr zufrieden, berichtet der Bildhauer. Herr Lembcke findet die Schultern ja etwas zu schmal. Und die Brüste wirken auch nicht gerade naturgetreu. Aber darüber muss er sich keinen Kopf machen. Er hat sich, so genau es nur geht, an das Modell zu halten.

Fertig für die Fahrt nach Potsdam: Tanzmuse Terpsichore wird bald auf dem Dach des Brandenburger Landtages stehen.
Fertig für die Fahrt nach Potsdam: Tanzmuse Terpsichore wird bald auf dem Dach des Brandenburger Landtages stehen. © undefined
Gruß aus der Kreidezeit: Versteinerte Muscheln sieht der Bildhauer nicht so gern in seinem Werkstück.
Gruß aus der Kreidezeit: Versteinerte Muscheln sieht der Bildhauer nicht so gern in seinem Werkstück. © undefined
Präzisionsarbeit: Die Nadel des Punktiergeräts zeigt dem Handwerker an, wie viel Stein er noch wegspitzen muss.
Präzisionsarbeit: Die Nadel des Punktiergeräts zeigt dem Handwerker an, wie viel Stein er noch wegspitzen muss. © undefined
Werkschef Johannes Roßrucker präsentiert den nächsten Auftrag, den Jupiter fürs Berliner Humboldtforum. Fotos: Daniel Schäfer
Werkschef Johannes Roßrucker präsentiert den nächsten Auftrag, den Jupiter fürs Berliner Humboldtforum. Fotos: Daniel Schäfer © undefined
Im Schlüterhof des Humboldtforums kriegt Jupiter aus Pirna seinen Platz. Bild: SHF/Franco Stella
Im Schlüterhof des Humboldtforums kriegt Jupiter aus Pirna seinen Platz. Bild: SHF/Franco Stella © undefined

Die Modelle kommen von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, die alle Originalteile des Skulpturenschmucks verwahrt. Nicht immer ist eine Figur komplett oder wenigstens in der Summe ihrer Teile vorhanden. Die originalen Fragmente müssen mit nachgearbeiteten Stücken zu einem neuen Ganzen zusammengefügt werden. So war es wohl auch bei Polyhymnia. Nur wo ihre Gipshaut rau und wie vernarbt erscheint, befand sich beim Abguss ein überlieferter Stein.

Und wie kopiert man eine Muse? Zuerst wird der Rohblock in den Schauer bugsiert. Im Falle von Polyhymnia, die den Schreibern feierlicher Loblieder auf Helden, Götter und Natur beisteht, war der Klotz etwa zwei Meter vierzig hoch, eins dreißig breit und einen Meter dick. Cottaer Sandstein, der beste für diese Art von Unternehmung, sagt Heino Lembcke. Er ist weich, hat eine gleichförmige Struktur und relativ wenig Einschlüsse wie Muscheln oder Kohlelöcher. „Ideal für filigranes Arbeiten.“

Den Vierkant bringt der Bildhauer ganz grob auf Maß. „Keile ansetzen, Bello – und rums.“ Stoßen ist leichter als Spitzen, sagt er. Mit der „großen Rammelei“ ist er nun fertig. Jetzt geht es ans Anlegen der eigentlichen Figur. Nicht frei Schnauze, sondern mit exakt justierter Nadel läuft das ab. Sie sitzt am Ausleger des Punktiergerätes, das an Kopf, Knie und Mantel des Polyhymnia-Modells befestigt ist. Drei Fixpunkte definieren einen vierten – das ist das Prinzip. Um die Position eines Punktes zu kopieren, stellt man die Nadel am Modell auf diesen Punkt ein, hängt das Punktierkreuz dann ans Werkstück und spitzt so viel Material herunter, bis die Nadel kein Spiel mehr hat, die richtige Höhe erreicht ist. Tausende Male vollführt Heino Lembcke diese Prozedur. Und schließlich ergibt das Netz aller Punkte die Fläche.

Ganz früher wollte Heino Lembcke mal zur See fahren. Er wollte raus. Ein Wink des Schicksals, dass daraus nichts wurde. So verfiel er, eher zufällig, dem Sandstein. Er kann sich heute keinen schöneren Job mehr denken. „Was ich am liebsten mache, das stellt man mir in meinen Schauer.“ In Sichtweite liegt schon der nächste Auftrag, noch gigantischer als die Musen: der drei Meter große Jupiter für das Humboldtforum im Berliner Schloss. Viele Haare, viele Muskeln, jede Menge Feinarbeit – eine Arbeit nach Lembckes Geschmack. „Das wird ein fantastisches Jahr.“

Sie wollen noch besser informiert sein? Schauen Sie doch mal auf www.sächsische.de/pirna und www.sächsische.de/sebnitz vorbei.

Für Informationen zwischendurch aufs Handy können Sie sich unter www.szlink.de/whatsapp-regio anmelden.