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Helfer und Hetzer

Seit auf einer Brache in Dresden eine Zeltstadt für Flüchtlinge entstanden ist, stehen sich dort Gegner und Befürworter gegenüber. Die Stimmung ist vergiftet.

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© dpa

Von Anna Hoben, Nancy Riegel und Alexander Schneider

Die Ruhe über der neuen Dresdner Zeltstadt ist trügerisch. Bei Sonnenschein erkunden Gruppen von Flüchtlingen die Friedrichstadt. Dresdner Bürger bringen säckeweise Spenden vorbei. Einige Asylbewerber stehen an der viel befahrenen Bremer Straße im Schatten und spielen mit den Kindern. Nur ab und zu schauen sie auf die andere Straßenseite. Dorthin, wo ununterbrochen Schaulustige stehen. Gaffer und Gegner, mit verschränkten Armen vor der Brust und Abneigung im Gesicht.

... und Befürworter der Flüchtlingsunterbringung unmittelbar gegenüber. Es kam zu Pöbeleien und Rangeleien mit Verletzten.
... und Befürworter der Flüchtlingsunterbringung unmittelbar gegenüber. Es kam zu Pöbeleien und Rangeleien mit Verletzten. © Robert Michael
Das Zeltlager in Dresden ist vorerst der erste Anlaufpunkt für Flüchtlinge, die nach Sachsen kommen. Es bietet bis zu 1100 Plätze.
Das Zeltlager in Dresden ist vorerst der erste Anlaufpunkt für Flüchtlinge, die nach Sachsen kommen. Es bietet bis zu 1100 Plätze. © Robert Michael
Schlafen auf engstem Raum: Flüchtlinge in einem der Zelte.
Schlafen auf engstem Raum: Flüchtlinge in einem der Zelte.

Seit Freitag sind rund 800 Asylbewerber aus 15 Nationen im Zeltlager untergekommen – in einem umstrittenen Provisorium. Viele Dresdner sind entsetzt, dass Flüchtlinge in ihrer Stadt so untergebracht werden müssen. „Keiner konnte diesen Flüchtlingsstrom erahnen“, verteidigt Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) die Erstaufnahmeeinrichtung. Sie besucht das Lager am Sonntag. Dankt den Helfern, die die Unterkunft innerhalb weniger Stunden aus dem Boden gestampft hatten. Wirft einen Blick in die Spendenannahmestelle, die vor lauter Kleidung und Spielsachen fast überquillt. Und besichtigt eins der Zelte, in dem Liegen Kante an Kante aufgestellt stehen. Die Schaulustigen vor dem Eingangstor grüßte sie mit „Guten Tag“.

Auch Michael Wilhelm (CDU), Staatssekretär im Innenministerium, ist am Wochenende mehrmals zu Besuch auf der Bremer Straße. Ein Ende des Lagers ist noch nicht in Sicht, verkündet er gestern. Zwar sollen diese Woche die ersten Flüchtlinge auf die Landkreise verteilt werden. Doch kann niemand vorhersehen, wie viele Busse mit Asylbewerbern noch nach Dresden kommen. Eine Erleichterung soll eine neue Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig bringen, die am 10. August eröffnet wird. Bis dahin werden weiterhin täglich Polizisten das Zeltlager bewachen. Staatssekretär Wilhelm findet deutliche Worte für die Gegner des Camps: „Wer gegen so ein Auffanglager protestiert, der ist schlicht und einfach intellektuell überfordert.“

Schon Donnerstagnacht werden ehrenamtliche Helfer angegriffen, die das Grundstück für die Zeltstadt vorbereiten. Gewalt entlädt sich auf einer NPD-Demo am Freitagabend. Am Sonnabend verpesten Unbekannte ein Asylbewerberwohnheim im Dresdner Stadtteil Stetzsch mit Buttersäure, ausgerechnet zum „Tag der offenen Tür“. Rassistisch motivierte Attacken haben Dresden erreicht. Der Bau des Zeltlagers ist der äußere Anlass. Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Pläne der Landesdirektion Sachsen entlädt sich Hass in den sozialen Medien. Die NPD ruft zur Demo vor der neuen Unterkunft auf. Auch wenn Pegida-Chef Lutz Bachmann vor einer Teilnahme warnt, sind dort viele zu sehen, die Montag für Montag bei den sogenannten Abendspaziergängen der selbst ernannten Patrioten in der Innenstadt mitmarschieren.

Seit zehn Monaten schon hetzen dort Redner gegen den Islam, gegen „Vergewaltiger“ und „Drogendealer“, die sie zynisch als „Fachkräfte“ und „Glücksritter“ bezeichnen. Sie warnen vor einer „Flüchtlingsschwemme“. Die Erstaufnahmeeinrichtung in der Friedrichstadt ist nun ein neuer, willkommener Anlass: „Kleine Wette am Rande? … schon heute Nacht wird es die ersten Einsätze für Polizei und Rettungsdienst geben, da die armen, traumatisierten Ärzte und Ingenieure ihre Ankunft im gelobten Land des nimmer endenden Geldflusses begießen müssen … Dann wird es nicht lange dauern bis die Chirurgen sich gegenseitig operieren oder schlachten oder schächten, je nach Religion“, schreibt Bachmann am Freitagmittag auf seiner Facebook-Seite. Er postet einen Artikel über eine Auseinandersetzung unter Flüchtlingen in einer Unterkunft in Österreich und fragt: „Wie lange dauert es wohl, bis es in der Bremer Straße 25 so abgeht?“

Mit etwa 50 Teilnehmern hatte die NPD gerechnet. Es sind jedoch mehr als 200 da, als die Kundgebung am Freitagabend beginnt – direkt gegenüber dem Eingang zur Zeltstadt. Ein Leipziger Stadtrat wettert über 1 100 weitere „Asylschmarotzer“, die nun kämen und die nun so viel erhielten wie Hartz-IV-Empfänger, die ihr Leben lang gearbeitet hätten.

Weil auch mehr als 350 Menschen die Flüchtlinge in Dresden begrüßen wollen und dazu spontan eine Kundgebung angemeldet haben, stehen sich die beiden Lager lautstark gegenüber, einzig getrennt vom rollenden Verkehr auf der Bremer Straße und 20 Einsatzkräften der Polizei. Mehr Beamte waren in der Kürze der Zeit nicht verfügbar. Mehrfach droht die Lage zu eskalieren. Als etwa 30 Anhänger der NPD-Demo auf die andere Straßenseite stürmen wollen und von den Beamten nur mit Mühe gestoppt werden. Schilder und Flaschen fliegen, eine junge Frau wird von einem Böller verletzt, der aus dem NPD-Lager mitten in die eng stehenden Demonstranten geworfen wird.

Drei Menschen werden bei dem Angriff verletzt, zwei Frauen und ein Mann. Notarzt und Rettungsdienst behandeln die Opfer im Alter von 15, 25 und 60 Jahren vor Ort, dann werden sie in Krankenhäuser gebracht. Erst später trifft die Verstärkung ein, etwa 30 Polizisten aus Leipzig. Sie vertreiben die Rechtsextremen. Nach 22.30 Uhr treffen die ersten Busse aus Chemnitz ein und werden von Dresdnern mit Applaus begrüßt, sie singen und winken. Die Insassen der Busse winken zurück, mehr Kontakte gibt es zunächst nicht. Durch den Zaun ist zu sehen, wie die Asylbewerber aussteigen und mit ihren wenigen Habseligkeiten in einem großen Zelt verschwinden.

Am Sonnabend ist Ruhe eingekehrt neben dem Zeltlager. Um die Mittagszeit stehen ein paar Schaulustige vor dem Eingang des Camps. „Wo sind denn die Familien? Ich seh’ nur junge tätowierte Männer“, sagt ein junger tätowierter Mann aus Dresden mit Bierflasche in der Hand. Flüchtlinge verlassen das Gelände und kehren zurück, viele mit Aldi-Tüten in den Händen. Manche sitzen auf Bierbänken vor der Imbissbude auf der anderen Straßenseite.

Ein großer Teil von ihnen stammt nach Angaben der Landesdirektion aus Syrien. Sie sind von den Fronten des Bürgerkriegs geflohen. Am Ende einer langen Flucht sind sie an der Front in Dresden angekommen. Auch nach den Ausschreitungen vom Freitagabend werden vor dem Camp Fronten aufgemacht, zwischen Asylgegnern und -befürwortern. Es wird heftig diskutiert. Ein mittelalter, großer Mann mit Karohemd überm prallen Bauch baut sich auf und sagt: „Das ist menschenunwürdig.“ Erst als er weiterredet, merkt man, dass er eigentlich etwas ganz anderes sagen will, nämlich: „Wir wollen die hier nicht haben.“ Er schimpft auf Asylpolitik, „unsere Politiker sind Verbrecher“, ein anderer Mann wirft leise ein: „Für mich sind diejenigen Verbrecher, die Asylheime anzünden.“ Es müsste hier mal richtig knallen, findet einer, und eine Frau ruft, man müsse endlich unterscheiden zwischen „Wirtschaftsflüchtlingen“ und „echten Asylanten“, dann stellt sie die Frage in den Raum, ob etwa Syrien nach dem Zweiten Weltkrieg Flüchtlinge aus Deutschland aufgenommen habe.

Es ist unheimlich viel Wut, Hass und Ignoranz auf der Straße. Bei aller Pöbelei geht ein bisschen unter, dass Asylbefürworter – Dresdner, die helfen wollen – bei Weitem in der Überzahl sind. Zu ihnen gehört auch Gregor Schulze. Der 31-Jährige engagiert sich in Löbtau für Flüchtlinge. „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas hier gebraucht wird, bei all dem Leerstand“, sagt er über die Zeltstadt. Dem Bündnis „Dresden für alle“ hat er seine Hilfe angeboten. „Es ist wichtig, dass jemand da ist.“

Auch viele andere beweisen an diesem Tag ihre Hilfsbereitschaft. Ein Pärchen aus Blasewitz bringt einen Kuchen für die Asylsuchenden. „Dresden für alle“ kann sich sogar über „zu viele Spenden“ freuen, wie der Netzwerksprecher Eric Hattke am Nachmittag sagt. „Wir müssen erst einmal den Bedarf ermitteln.“ Auf Facebook postet das Bündnis später Listen: Spiele, Bälle, Kleider werden gebraucht.

Sonnabend, 22.30 Uhr. Sabine Ezzedini wartet vor dem Camp auf ihren Ehemann. Der Tunesier ist seit neun Stunden als ehrenamtlicher Dolmetscher im Einsatz. „Er hat ein Helfersyndrom, genau wie ich.“ Sie selbst hat früher bei der Essensverteilung der Tafel mitgeholfen. Mit ihr stehen am späten Abend noch etwa 50 Asylbefürworter vor der Unterkunft, ruhig, abwartend, beschützend. Als ein weiterer Bus in die Einfahrt biegt, winken sie. Die Flüchtlinge im Bus winken zurück. Auf der anderen Seite wird ein aggressiv grölender, stark betrunkener Gegner kurz vor 23 Uhr von der Polizei abgeführt.

Am späten Nachmittag machen sich zwei Syrer von der Zeltstadt auf den Weg in die Innenstadt. Sie wollen Sim-Karten für ihre Smartphones kaufen, um endlich wieder mit ihrer Familie in Kontakt treten zu können. Die Brüder kommen aus der Hauptstadt Damaskus, der ältere zeigt lächelnd auf dem Handy Fotos seiner Frau und seiner fünf Kinder. Er wolle sie so bald wie möglich nachholen, sagt er in gebrochenem Englisch. Und plötzlich fragt er: „Der Name dieser Stadt, was ist der Name dieser Stadt?“ Nun, das ist Dresden.