Von Juliane Richter
Michael Hentschel ist streikerprobt. In den vergangenen Jahren hat der Englisch- und Sportlehrer am Gymnasium Dreikönigsschule nahezu jeden Streik mitgemacht. Auch heute demonstriert er mit tausenden anderen Lehrern vor dem Sächsischen Finanzministerium. „In erster Linie geht es dabei schon um die 6,5 Prozent mehr Lohn, die eine Anerkennung wären, die dem Lehrerberuf sicher zusteht“, sagt der 49-Jährige. Für diese Forderung rechtfertigen möchte er sich nicht. Die Argumente liegen für ihn auf der Hand: Die Aufgaben nehmen seit Jahren zu, zum Beispiel durch Kompetenztests oder Leistungsfeststellungen. Die individuelle Betreuung, also auch mal am Rande ein Wort mit den Schülern zu wechseln, blieben dadurch zunehmend auf der Strecke.
Welche der rund 150 Dresdner Schulen beteiligen sich heute am Streik?
Petra Thie vom Sächsischen Lehrerverband (SLV) geht davon aus, dass zwischen 80 und 90 Prozent der Schulen bestreikt werden. Sie hat versucht, jede einzelne Schule abzufragen. Eindeutig ist die Lage bei den 15 staatlichen Gymnasien, die allesamt streiken. Von den Förderschulen nehmen zehn definitiv teil, nur die Schule für Erziehungshilfe Erich Kästner streikt nicht. Von den Mittelschulen beteiligen sich 20 am Streik, drei weitere haben signalisiert, dass ein kleiner Teil der Lehrerschaft streikt.
Am differenziertesten ist die Situation bei den Dresdner Grundschulen: Von 67 staatlichen Schulen wollen sich 37 am Streik beteiligen, bei fünf Schulen werden einige wenige Lehrer streiken und 15 Schulen haben angekündigt, nicht teilzunehmen. Ebenfalls nicht vom Streik betroffen sind die privaten Schulen, deren Lehrer nicht im öffentlichen Dienst sind. Insgesamt gehen sowohl der SLV als auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft davon aus, dass heute rund 3.000 Lehrer in Dresden am Streik teilnehmen.
Wie wird während des Streiks
für die Kinder gesorgt?
An allen bestreikten Schulen ist für die gesamte Unterrichtszeit ein Notdienst eingerichtet worden. Dabei müssen 15 Schüler von einer Lehrkraft beaufsichtigt werden. Um den Bedarf an Lehrern kalkulieren zu können, sind die Eltern laut SLV durch einen Brief über den Streik informiert worden. Dabei wurden sie gebeten, der Schule wiederum mitzuteilen, ob ihr Kind heute die Schule besucht oder zu Hause lernt. Rita Kiriasis, Regionalverantwortliche des SLV, geht davon aus, dass vor allem die Schüler bis zur achten Klasse das Schulgebäude aufsuchen und die Älteren zu Hause bleiben.
„Ein Streiktag ist jedoch kein Ferientag. Die Schüler haben gestern umfangreiche Aufgaben ausgehändigt bekommen, für die sie wirklich auch die Unterrichtszeit brauchen“, so Rita Kiriasis. Durch das Verteilen der Aufgaben werde die gesetzliche Schulpflicht trotz des Streiktages erfüllt.
Für was streiken die sächsischen Lehrer in dieser Woche?
Gestern kamen rund 4.000 Leipziger Lehrer zur Demonstration nach Dresden. Heute sind die aus Dresden, des Umlandes und aus Bautzen an der Reihe, bevor morgen die Lehrer aus Chemnitz und Zwickau folgen. Alle gemeinsam fordern 6,5 Prozent mehr Lohn und 100 Euro mehr für Referendare und Auszubildende sowie deren Übernahme nach der Ausbildung. Außerdem wollen die Verbände und Gewerkschaften erreichen, dass die Lehrer in einen Tarifvertrag eingestuft werden. Teilweise würden die Lehrer in Sachsen zwei Gehaltsstufen weniger verdienen, als ihre Kollegen in anderen Bundesländern – auch in Sachsen-Anhalt oder Thüringen, sagt der SLV-Landesvorsitzende Jens Weichelt.
Für seine Kollegin Rita Kiriasis ist es oberstes Ziel, die jungen Lehrer zu halten. „Die Jungen wandern nach dem Studium in die anderen Bundesländer ab, wo sie nicht nur besser bezahlt, sondern auch verbeamtet werden“, so Kiriasis. Die Folge sei bei wachsenden Schülerzahlen in den Großstädten ein Lehrermangel und eine Überalterung der bestehenden Lehrerschaft. „Die Konsequenz wird sein, dass die Klassen bis obenhin vollgestopft werden und die Entwicklung zulasten der individuellen Förderung geht.“ Bei Personalmangel müssen ihrer Meinung nach irgendwann Förderstunden gestrichen werden.
Ist nach dem heutigen Tag mit weiteren Streiks zu rechnen?
Das ist gut möglich. Am Donnerstag und Freitag findet die dritte und letzte Verhandlungsrunde statt. Laut Rita Kiriasis sei bisher kein „praktikables Angebot“ aufgestellt worden.
Sollten die Verhandlungen scheitern, würden zunächst einmal alle Mitglieder des öffentlichen Dienstes befragt. Sei die Vielzahl der Landesbediensteten dann für einen weiteren Streik, könne der innerhalb der nächsten Wochen stattfinden. Ab morgen geht der Unterricht jedoch zunächst normal weiter.