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Soljanka und ein Stückchen Heimat

Die Riesaer Wohngebiets-Gaststätte "Am Humboldtring" ist für viele ältere Menschen in der Pausitzer Delle viel mehr als nur eine Kneipe.

Von Jörg Richter
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Paul Hesse bereitet in der Küche Pilze zu. Zusammen mit seinem Vater Ralf und seinem Bruder Tim sorgen sie für leckeres Essen in der Pausitzer Delle.
Paul Hesse bereitet in der Küche Pilze zu. Zusammen mit seinem Vater Ralf und seinem Bruder Tim sorgen sie für leckeres Essen in der Pausitzer Delle. © Sebastian Schultz

Riesa. Die Zutaten für eine Soljanka sind recht übersichtlich: Wurst, Zwiebel, Paprika, Fleischbrühe, Knoblauch, saure Gurken, je nach Menge etwas Ketchup, Essig und Zitronensaft. Das Ganze süßsauer abschmecken und leicht scharf abwürzen. Fertig. Viel falsch machen kann ein gelernter Koch da nicht.  

"Das kochen wir schon seit gefühlten hundert Jahren", sagt Paul Hesse lächelnd. Dabei ist der junge Mann gerade mal 27 Jahre jung. Das Rezept hat er intus. Nachgucken muss er nicht. Soljanka war und ist hier, im Wohngebiet Pausitzer Delle, schon seit jeher beliebt und wird immer wieder gern bestellt. "Das kann man nicht von der Karte nehmen", sagt er. Genauso wenig wie die anderen typischen DDR-Gerichte Würzfleisch und Rostbrätl. "Da wären sicher viele Leute enttäuscht."

Paul Hesse kocht zusammen mit seinem Vater Ralf (54) und seinem Bruder Tim (20) in der  Gaststätte "Am Humboldtring". "Das ist eine typische Wohngebiets-Gaststätte, wie sie in der DDR gang und gäbe war", sagt Mutter Anke. Sie ist die gute Seele des Hauses, das kaum jünger ist als sie.  

Die Gaststätte "Am Humboldtring" in Riesa ist ein typischer Restaurant-Flachbau, wie es ihn zu Hunderten in der ehemaligen DDR gab.
Die Gaststätte "Am Humboldtring" in Riesa ist ein typischer Restaurant-Flachbau, wie es ihn zu Hunderten in der ehemaligen DDR gab. © Sebastian Schultz

1971 wurde die Gaststätte von der ehemaligen Handelsorganisation (HO) eingeweiht. Fünf Jahre später übernahmen Ralf Hesses Eltern die Leitung. Vater Günther war eigentlich Berufsmusiker. Doch er fuchste sich mit seiner Frau in die neue Aufgabe ein. Und das mit Erfolg. "Immer, wo Not am Mann war, wurden sie hingeschickt", erzählt Anke Hesse. So arbeiteten ihre Schwiegereltern zeitweise auch im Nünchritzer Elbgasthof und im Gröbaer "Anker". 

1984 übernahm Ralf Hesse die Leitung der Gaststätte "Am Humboldtring", die mit der Wende an die Treuhand fiel. "Eine schwierige Zeit, in der das Objekt zu verfallen drohte", so das Familienoberhaupt. Acht Jahre dauerte es, bis er den Flachbau von der Treuhand abkaufen konnte. 

Auch in den zurückliegenden Monaten hat Familie Hesse eine schwierige Zeit durchleben müssen. Wegen der Corona-Einschränkungen konnten sie wochenlang keine Gäste in ihren Räumen begrüßen. Doch die Wirtsleute vom Humboldtring wollen nicht klagen. Ihnen sei es besser ergangen als manch anderen Kollegen, sagt Anke Hesse. Denn sie konnten weiterkochen und das Essen ausliefern. Etwa 200 Portionen pro Tag lieferten sie u. a. über die Pflegedienste von ASB und DRK aus, versorgten auch das Obdachlosenheim in Riesa und das Kinderheim in Strehla. Und nicht zu vergessen, die vielen älteren Stammkunden im Wohngebiet. 

Mutter Anke Hesse ist die gute Seele des kleinen Familienunternehmens.
Mutter Anke Hesse ist die gute Seele des kleinen Familienunternehmens. © Sebastian Schultz

"Man kann nicht sagen, dass Corona spurlos an uns vorbeigegangen ist", sagt Anke Hesse. Die meisten der acht Mitarbeiter mussten in Kurzarbeit gehen. Doch seit die Gaststätten-Sperre Mitte Mai aufgehoben wurde, ist auch hier wieder mehr Leben. "Viele haben sich richtig gefreut, dass sie wieder zu uns essen kommen durften", erzählt die 52-Jährige. 

Die Wohngebiets-Gaststätte ist für die Leute hier viel mehr als nur ein Raum, um Nahrung einzunehmen. Vor allem viele allein lebende Rentner sind glücklich darüber, wieder einen Ort zu haben, um sich zum Mittag oder zum Kaffee-Trinken mit Freunden und Bekannten zu treffen. Darüber hinaus ist die Gaststätte "Am Humboldtring" regelmäßiger Treffpunkt für die Spieler des Riesaer Skatvereins. Zahlreiche Bilderrahmen mit "Grand Ouvert" an der Stammtisch-Wand künden davon. 

Familie Hesse hofft, dass nun wieder mehr Normalität einkehrt. "Die ganz großen Catering-Aufträge hatten wir dieses Jahr noch nicht", sagt Paul Hesse. Doch die ersten Familienfeiern haben sich mittlerweile angekündigt. Vor Kurzem feierte hier ein Gast seinen 50. Geburtstag. "Da war wieder richtig was los!", sagt Mutter Anke und ist zuversichtlich, dass das Schlimmste vorbei ist. 

Mehrere Bilderrahmen mit "Grand Ouvert" an der Wand zeugen davon, dass hier noch ordentlich geskatet wird.
Mehrere Bilderrahmen mit "Grand Ouvert" an der Wand zeugen davon, dass hier noch ordentlich geskatet wird. © Sebastian Schultz
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