Von Dorit Oehme
Ihre Annabell im Arm tritt Stephanie ins Foyer. Die Sechsjährige hat ihre Puppe wie ein Neugeborenes in eine kuschlige Decke gewickelt. Pia Wolf, ihre Mama, läuft mit Babybauch nebenher.
Voraussichtlich im Oktober wird Stephanies Geschwisterchen geboren. Heute ist sie die Hauptperson. Ebenso geht es Leonie, Vivien und Rick sowie den Brüdern Johann und Lukas. „Ihr seid bald die Großen“, erklärt Schwester Sylvia Tiebach den Mädchen und Jungen, die zum Geschwisterkurs ins Freitaler Krankenhaus gekommen sind.
Die Eltern warten draußen. Die Kinder tauen drinnen schnell auf. Schwester Conny Benedikt, die den Kurs mit leitet, möchte gern die Namen der mitgebrachten Puppen und Kuscheltiere wissen. Die Vier- bis Siebenjährigen stellen ihre Lieblinge begeistert vor. Rick ist schon neun. Er hält sich zurück und packt sein Plüschtier doch nicht aus.
Die Gruppe sitzt in einem offenen Kreis. Davor stehen eine Babybadewanne, ein Tisch mit Wickelunterlagen, Minipampers und Trinkfläschchen zum Ausprobieren bereit. „Wisst ihr, dass ihr mit eurem Geschwisterchen schon sprechen könnt?“, fragt Sylvia Tiebach weiter. Sie schlägt vor: „Ihr könnt zum Baby sagen: ‚Hallo, ich bin dein großer Bruder, deine große Schwester. Ich warte schon auf dich.‘ Dann kennt es eure Stimme, wenn es geboren ist. Und ihr könnt es mal trösten, wenn es weint!“
Probeliegen im Bettchen
Stephanie erzählt aufgeweckt: „Wenn meine Mama ein Buch liest, lege ich oft meine Hände auf ihren Bauch. Dann merke ich, wie unser Baby boxt und strampelt.“ Auch die anderen Kinder sind ganz bei der Sache. Lukas weiß schon, dass sich das Baby im Bauch vom Mutterkuchen ernährt.
Sein Bruder Johann berichtet stolz: „Unser Papa hat die Wickelkommode selber gebaut“. Da hat Schwester Sylvia gerade erzählt, dass die Kinder der Mama helfen können, wenn sie mal schnell eine Windel für das Kleine braucht.
Ganz dicht umringen die Mädchen und Jungen die Wanne, während Johanns Hund, Puppe Annabell und die anderen kleinen Lieblinge behutsam wie Neugeborene von Schwester Conny gebadet werden. Dann kleidet auch Rick eine extragroße Babypuppe des Hauses mit Jüpchen, Jäckchen und Strampler an. Im Kinderzimmer der Geburtenstation dürfen die Puppen und Kuscheltiere danach sogar mal kurz in einem Babybettchen probeliegen. Stephanie kuschelt ihre Annabell liebevoll, als sich den Kindern schließlich die Tür zum Geburtenraum öffnet. „Ach, da sind ja eine Waage und eine Wanne“, sagt die Sechsjährige und schaut sich um. Schwester Sylvia erklärt dem älteren Rick: „Der Apparat zeigt, wie das Herz des Babys pocht.“
Die Spannung steigt noch weiter: Die Schwestern führen die Mädchen und Jungen zu einer Mutter und ihrem Neugeborenen. „Ein echtes Baby“, flüstern die Kinder und strahlen staunend: Die erst einen Tag alte Tessa hat die Augen geöffnet, blinzelt und nuckelt am Däumchen. Hebamme Marika Schwabe verteilt zum Schluss Namensbändchen: Annabell bekommt ein rosafarbenes. Glücklich und stolz trägt sie ihre Puppe zu ihrer Mama zurück.
„Es ist uns wichtig, die Kinder auf ihre neue Rolle gut vorzubereiten. So haben sie weniger Ängste und Eifersucht“, sagt Schwester Sylvia. Seit einem Dreivierteljahr bietet das Krankenhaus die Kurse an. Dr.Frank Stoermer, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, hat sie initiiert.