Hilfe für Tschernobyl-Kinder

Ottendorf-Okrilla. So schnell waren drei Wochen rum. Am Dienstagvormittag haben sich die 17 Kinder, die seit dem 11. Juni in Ottendorf-Okrilla zu Gast waren, wieder auf den Weg in ihre weißrussischen Heimat gemacht. Einen Tag wird die 1 500 Kilometer lange Reise dauern, bis sie im Kreis Buda-Koschelewo ankommen. Dann sind sie zurück in einer Region, die ihre Bewohner sukzessive krank macht. Denn der Kreis ist nur 100 bis 150 Kilometer von Tschernobyl entfernt – und auch 33 Jahre nach der Katastrophe noch verstrahlt. Das macht die Hilfe aus Ottendorf-Okrilla so wichtig.
Denn bei der geht es um mehr als nur Hilfstransporte und einen Urlaub für die Kinder. Es geht um deren Gesundheit, wie Kees von der Kamp von der Tschernobylinitiative Ottendorf-Okrilla erklärt. „Sport, Spiel und Spaß sind nur ein Nebeneffekt“, sagt er. Durch den Aufenthalt in einer nicht-verstrahlten Umgebung mit nicht-verstrahltem Essen werde die Strahlenbelastung der Kinder im Schnitt um 30 Prozent verringert. Das ist das Ergebnis einer Messung, die am Anfang und Ende der Kinderaktion im Jahr 2016 durchgeführt wurde. Dieser Abbau der Belastung gebe den Kindern eine Reserve von zwei Jahren, ehe sie wieder das vorherige Niveau erreicht haben. Wie Elisabeth Gorial vom Verein erklärt, versuche man dann nach den zwei Jahren, die Kinder ein zweites Mal einzuladen. So könnten sie in einer Zeit, in der der Körper sich entwickle niedrigere Werte haben. Das Alter der Kinder, die in diesem Jahr nach Ottendorf-Okrilla geholt wurden, lag zwischen acht und zwölf Jahren. „Das ist der Hauptgrund für die Tätigkeit des Vereins“, sagt van der Kamp.
Verein finanziert sich über Spenden
Für die 20 bis 25 Kinder, die jedes Jahr im Rahmen der Kinderaktion einige Wochen in Ottendorf-Okrilla und dem Umland verbringen, entstehen dem Verein Kosten von 5 000 bis 6 000 Euro. Für einen Verein, der sich ausschließlich über Spenden finanziert, ist das ein stattlicher Betrag. Über die Spendenbereitschaft könne sich der Verein aber nicht beklagen, sagt van der Kamp. Man werde auch sehr großzügig von der Kirchgemeinde und der Gemeindeverwaltung unterstützt. So ermöglicht Letztere den kleinen Gästen beispielsweise kostenlose Besuche im Teichwiesenbad.
Was jedoch fehlt, sind weitere Mitstreiter, die sich aktiv einbringen und mitarbeiten wollen. In den letzten zwei Jahren sei es schwierig gewesen, Gasteltern zu finden, erzählt Gorial. Aber genau bei denen will der Verein die Kinder unterbringen, damit bestenfalls Kontakte zwischen den Familien in Deutschland und Weißrussland entstehen, die über den Besuch hinausgehen. Das Engagement im Verein sei auf Dauer ausgelegt, weil die Arbeit leichter werde, wenn sie sich auf mehrere Schultern verteile, sagt van der Kamp.
Thema fast verschwunden
Und Arbeit gibt es mehr als genug. Die Hilfstranporte, die sich zweimal im Jahr mit jeweils 1 000 bis 1 300 Bananenkisten voller Kleidung, Süßigkeiten und anderen Dingen sowie mit Möbeln, Fahrrädern und Krankenbedarf auf den Weg machen, bedeuten einen großen organisatorischen und bürokratischen Aufwand. Doch den nehmen die Ottendorfer in Kauf, denn die Hilfe ist heute noch genauso wichtig wie vor 30 Jahren. Van der Kamp zitiert zur Erklärung gern den Soziologen und Risikoforscher Ulrich Beck, der 2013 gesagt hat: „Die Verletzten von Tschernobyl sind noch nicht mal alle geboren.“ Denn nach 30 Jahren sei lediglich die erste Halbwertszeit vorbei und 50 Prozent Strahlung eliminiert, erklärt van der Kamp. In den nächsten 30 Jahren sind es weitere 25 Prozent, danach 12,5 Prozent und so weiter. So seien die Menschen in Weißrussland, wo 70 Prozent der damals freigesetzten Radioaktivität niedergegangen sind, derzeit zwar nur einer geringen Strahlung ausgesetzet, dafür aber dafür immer und überall.
Aus der öffentlichen Wahrnehmung sei das Thema jedoch weitgehend verschwunden, ärgert sich van der Kamp. Nach der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 habe es zwar eine kleine Welle der Aufmerksamkeit gegeben, da es damals im Gegensatz zum Vorfall in Tschernobyl Bilder und Videos gegeben habe, aber die sei relativ schnell wieder abgeebbt. Die Katastrophe sei vergessen und betreffe eine Ecke von Europa, die im Westen ebenfalls vergessen werde, sagt der Vereinschef.
Ob die neue amerikanische Fernsehserie „Chernobyl“, die sich mit den Folgen der Katastrophe beschäftigt und weltweit Zuschauer begeistert, daran etwas ändern wird, wird sich zeigen. Van der Kamp ist die verstärkte Aufmerksamkeit in jedem Fall recht. Erst recht, wenn sich dadurch vielleicht doch der eine oder andere neue Mitstreiter findet, der den Kindern aus Buda-Koschelewo helfen will.