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Hobbysammler geht täglich auf Erkundung

Görlitz. In kurzer Zeit hat Hans Heinrich ein stolzes Geschichtsarchiv über Görlitz aufgebaut.

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Von Ralph Schermann

Das Jahr 1990 war für Hans Heinrich schlimm. Seine Frau starb. Es fällt so schwer, allein zu sein. Doch an einen Umzug denkt der Ur-Biesnitzer nicht. Schließlich ist er in dem Haus auf der Promenadenstraße geboren, in dem er noch immer wohnt. Viele Jahre war es hier das einzige Haus, damals, in den 1920-er Jahren. Heute ist er 80.

„Ich bin keiner, der nur aus dem Fenster guckt“, erkennt Hans Heinrich bald. Er entdeckt die Kreuzworträtsel für sich. Sie gehören noch heute fast täglich zum Leben, doch sie füllen ihn nicht aus. Ein altes Foto kommt ihm in die Hand, und er vergleicht es mit einer aktuellen Aufnahme. „Görlitz einst und jetzt“ wird sein neues Hobby.

Aus einem Bild sind Tausende geworden. Aus einer kleinen Mappe wurden gut 250 große Ordner. Aus einem Seitenfach im Schreibtisch wurden mehrere Schränke und Regale. Hans Heinrich sammelt seit 16 Jahren alles, was mit Schlesien und Görlitz zu tun hat. Er liebt den Zeitungsausschnitt wie die Postkarte, die alte Urkunde ebenso wie Atlanten. Unter einem hochklappbaren Sofa tummeln sich Messtischblätter und Wassererschließungspläne ganzer Stadtteile ebenso wie die 13-bändige preußische Landeskunde oder ein Handatlas Friedrich des Großen, der mit rund einem Quadratmeter kaum noch etwas mit dem Wort Hand gemein hat.

Die Menge verblüfft und ist doch einfach erklärt. Seit er sein neues Hobby pflegt, dreht Hans Heinrich seine tägliche Runde. Er späht nach Neuigkeiten im Bahnhofszeitungsladen und in all den anderen Buchläden, bedient sich an den Tresen der Bürgerbüros, studiert in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften und durchstöbert die Antiquariate. „Nur Trödelmärkte mag ich nicht“, sagt er, „Heimatgeschichte ist kein Trödel!“

Zu seinen Spezialitäten zählt der stets akribische Hausnummernvergleich. Viele Straßen haben die Nummerierung mehrfach geändert, und schnell ist da ein Haus falsch zugeordnet. Vor allem nach den Eingemeindungen gab es stets Änderungen der Haustürzahlen. Hans Heinrich hat alle Verzeichnisse parat, half auch so manchem Amt im Rathaus schon weiter, wo das Ratsarchiv Lücken zeigt.

Weil auf einer Zeitungsseite oft vorn und hinten Bewahrenswertes steht, legte sich der Hobbyhistoriker einen Farbkopierer zu. Alles, was er archiviert, landet zunächst auf der großen Papierschneide und dann in sauberen Foliehüllen, bevor es in einem Ordner verschwindet. Auch deren Einteilung ist professionell: Mal geordnet nach Straßennamen, mal nach Betrieben, mal nach Ereignissen. Und zu alldem kommt noch seine ganz private Extrasammlung der Eisenbahngeschichte.

Der gelernte Kaufmann investiert nicht wenig in sein Hobby. „Wer in der Heimatgeschichte sammelt, der darf auch nicht auf den Cent gucken“, weiß er. Aus seinem Berufsleben an Zahlen und Tabellen gewöhnt, ist es meist nur ein Griff, und die Frage nach einer Straße oder einem Gebäude wird exakt beantwortet.

Dass er besonders in seinem Wohngebiet mitreden kann, liegt auf der Hand. Redet man über Biesnitz, kommt Hans Heinrich ins Schwärmen. Nur die modernen Bauten stören ihn etwas, weil sie dem einstigen Villenvorort den typischen Charakter rauben. „Egal“, sagt der Geschichtssammler, „ich hefte es einfach mit ab ...“