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Holger Böwing liest in seiner Heimatstadt

Schon zum dritten Mal las der Herrnhuter Autor Holger Böwing am Freitagabend in der Herrnhuter Comenius-Buchhandlung aus seinem bisher noch unveröffentlichten Roman „Fabler“. Und viele Zuhörer hatten sich eingefunden, um nun endlich zu erfahren, wie denn die Geschichte um den von der früh verwitweten Mutter mehr als innig geliebten und umsorgten Knaben Johannes weiterginge.

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Von Rolf Hill

Herrnhut. Bereits nach wenigen Sätzen fühlte man sich in die Welt des „Helden“ hineinversetzt. DDR-Alltag der 60er Jahre, ein Leben zwischen AWG-Platte und Kindergarten Nummer 2. Fabler selbst sitzt mittendrin wie im Kino, findet dieses stinknormale Einerlei faszinierend, saugt all die kindlichen Eindrücke gierig in sich auf und ist doch nicht in der Lage, selbst aktiv in dieses Geschehen einzudringen. Schuld daran ist nicht zuletzt der sich immer mehr ausdehnende Machtbereich der Mutter, die als Lehrerin arbeitet.

Unbekümmert, trotz der Tragik immer mit einem Augenzwinkern, erzählt Holger Böwing in der Ichform „seine“ Geschichte. Mit jedem Satz wird es erkennbar, dass er nicht nur hinter dem kleinen Johannes steht, sondern sich so weit mit ihm identifiziert, dass er fast in dessen Rolle schlüpft. Sehr zum Vergnügen der Zuhörer übrigens, denn seine Wortwahl und sein Stil fordern immer wieder zum Nachdenken, Schmunzeln und lauten Lachen in einem heraus. „Natürlich liegen dem Manuskript nicht nur umfangreiche und komplizierte Recherchen, sondern auch jede Menge eigene Kindheitserinnerungen zu Grunde“, bekennt der 44-Jährige. „Aber es handelt sich nicht um eine Autobiographie. Ich wollte ganz einfach eine Kinder- und Jugendgeschichte schreiben, die gleichzeitig die Geschichte des Landes ist, in dem ich aufgewachsen bin. Es sollte ein Stück eigene Erinnerung an die DDR erhalten bleiben, das über die damaligen Produkte in den Regalen, die ,Tausend Tele Tips’ mit Minol-Pirol und Badusan sowie Hans-Georg Poneskys Seelentröstung hinaus ging.“

Erste literarische Versuche stammten noch aus der Studienzeit, erzählt der heutige Leiter der Herrnhuter Förderschule für Geistigbehinderte. Der Durchbruch aber kam, als er an ein Spezialkinderheim für Schwererziehbare versetzt wurde. Der Umgang, den dort die Erzieher mit ihren „Zöglingen“ pflegten, habe ihm schwer zu schaffen gemacht, sagt er. Da sei vor allem die Angst da gewesen, eines Tages ebenso zu werden. Das schrieb er sich von der Seele. Es entstand der Roman „Jakob Leising“. Tatsächlich war der Buchverlag „Der Morgen“ drauf und dran, das Buch zu verlegen, aber dann kam die Wende und damit kam alles anders. Es folgte eine lange Pause, bis dann ein Zitat aus der Feder des damals 56-jährigen Erwin Strittmatter den Drang nach eben diesem Stoff in ihm weckte.

Die dritte Lesung soll natürlich nicht die letzte gewesen sein, kein Wunder bei diesem Publikum. Dazu der Autor: „Das vorliegende Manuskript umfasst 18 Kapitel und reicht bis zu Fablers 13. Lebensjahr. Es ist in der Handlung abgeschlossen. Erst war ich nicht sicher, aber nun denke ich, es wird mit Sicherheit einen zweiten Teil geben. Und ich suche ernsthaft nach einem Verleger.“

Es geht schon gegen Mitternacht, als das Licht in der Buchhandlung langsam verlischt. Nachdenklich, aber auch schmunzelnd machen sich die Leute auf den Heimweg – in Gedanken noch immer bei einem kleinen Jungen aus „längst vergangener“ und doch so lebendig gebliebener Zeit.