"Ich sage deutlich nein! Schließlich gibt es heutzutage so etwas wie Computeranimationen. Lassen Sie sich beraten und treten sie Denkmale nicht mit Füßen.“ Wiesia Maraksa hat sich Luft gemacht im Internet. Die Polin ist eine von vielen Menschen, die in diesen Tagen ihre Stimme erheben gegen ein geplantes Film-Vorhaben, an dem US-Schauspieler Tom Cruise beteiligt ist.
Im Mittelpunkt dabei steht eine historische, 1908 gebaute Eisenbahnbrücke über dem Stausee Pilchowice (Mauer). Die Bogenkonstruktion aus Stahl hat eine Länge von 151 Metern und ist Teil der stillgelegten Bahnverbindung 283 zwischen Jelenia Góra (Hirschberg) und Lwówek Śląski (Löwenberg) in Polen. Wie polnische Medien und Silesia News berichten, soll die Brücke im Rahmen von Dreharbeiten für eine neue Folge der Hollywood-Reihe „Mission: Impossible“ gesprengt werden. In mittlerweile sechs Actionfilmen geht es dabei um die Einsätze einer Spezialeinheit von US-amerikanischen Agenten um den Hauptheld Ethan Hunt, gespielt von Tom Cruise.
Nun laufen die Arbeiten zum siebenten Teil. Beteiligt ist dabei die Warschauer Firma „Alex Stern“, die auch im Bereich Medienproduktionen aktiv ist. Das Unternehmen kümmere sich um die Außenaufnahmen. Laut dem Onlineportal Wirtualna Polska habe Robert Golba, der Chef von „Alex Stern“, gesagt, die Brücke sei nicht als Denkmal anerkannt und in einem bedauernswerten Zustand. Sie komme nach langem Suchen als Objekt für eine Sprengung infrage. Nach Abschluss der Aufnahmen könnte sie nach historischem Vorbild wieder aufgebaut werden.
Doch das dürfte schwierig werden. Davon geht der Architekt Christopher Schmidt-Münzberg aus, der in Polen und Deutschland lebt und den Vorsitz des Vereins zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur innehat. Er verweist darauf, dass die Brücke „klassisch genietet“ sei. „Diese Technik ist ausgestorben“, so der Fachmann. Vor etwa 20 Jahren sei in seinem Heimatort Lemwerder bei Bremen eine Jacht aus den 1950er-Jahren restauriert worden – eine mit genietetem Stahl. Die Werft sei damals schon hilflos gewesen. Um das Schiff historisch korrekt zu reparieren, habe man Rentner aus dem Ruhestand zurückgeholt. „Einige wenige waren noch in der Lage, zu nieten. Heute würde das keiner mehr können“, schätzt Christopher Schmidt-Münzberg.
Und er beschreibt die Prozedur, die er in Lemwerder selbst beobachtet hat. „Ein Arbeiter steht an einer Esse und bringt die Nieten zum Glühen. Wenn das erledigt ist, muss die Niete sofort, noch im rotglühenden Zustand, in die Konstruktion eingetrieben werden.“ Bei einem Brückenbauwerk wie am Stausee Mauer seien die glühenden Nieten mit einer Art Baseball-Handschuh über die Einrüstung von Arbeiter zu Arbeiter geschleudert worden, bis der Montageort erreicht war. „Wenn die Brücke jetzt gesprengt wird, ist das Zeugnis dieser Technologie verloren. Nicht für Geld und guten Willen könnte man diese Brücke wieder rekonstruieren“, macht Schmidt-Münzberg deutlich. Es sei ein unwiederbringlicher Verlust für die Industriegeschichte.
Briefe an den Premierminister
Auch in Polen sehen das immer mehr Menschen so. In sozialen Netzwerken rufen sie unter: „Ich bin gegen die Zerstörung der Brücke in Pilchowice“ zum Protest auf. Sie schreiben Briefe an Polens Premierminister Mateusz Morawiecki (PiS). Laut Silesia News hat sich auch die Denkmalschutzbeauftragte der Woiwodschaft Niederschlesien, Barbara Nowak-Obelinda, eingeschaltet. Sie habe veranlasst, eine Aufnahme des Viadukts in das Denkmalregister einzuleiten. Bei der Begehung der Brücke durch Mitarbeiter der Denkmalschutzbehörde sei festgestellt worden, dass an der Unterkonstruktion des Bauwerkes bereits Stahlträger angebracht worden waren. Der Sprecher der Polnischen Bahn PKP PLK, sie ist Eigentümerin des Objektes, bestätigte nach langem Schweigen, dass dies im Rahmen der Brückenüberprüfung im Hinblick auf eine mögliche Nutzung im Film erfolgt war. Sogar polnische Militärangehörige haben wohl bei der Prüfung geholfen.
Die Stahlkonstruktion sei nach Bekanntwerden des Vorhabens wieder verschwunden, wie der ehemalige Bahnvorstand der Niederschlesischen Bahnen, Piotr Rachwalski, auf seinem Facebook-Portal berichtet. Er, aber auch die Stiftung zum Schutz des industriellen Erbes Schlesiens, starteten eine Reihe von Aktivitäten zur Rettung der Brücke. Sie verweisen dabei auch auf die große Seltenheit des Bauwerkes mit einem Gewicht von 350 Tonnen. Das Bahnunternehmen PKP stellte nun über seinen Pressesprecher klar, dass es noch keinerlei Vereinbarungen wegen einer Sprengung gebe.
Die Woiwodschaftsverwaltung betont nun, dass sie im Rahmen ihrer Verantwortung für den Regionalverkehr stillgelegte PKP-Strecken übernehmen und reaktivieren werde. Geplant habe man das für 350 Bahnkilometer. Für 150 Kilometer Strecke sei dies schon erfolgt. Der Abschnitt mit der Brücke folge definitiv; man arbeite an der Übernahme. Und man unterstütze die Bemühungen zur Eintragung des Viadukts in das zentrale polnische Denkmalverzeichnis. „Mit der Verkündung und dem Vollzug des Eintrags rechnen wir jeden Tag“, sagt Barbara Nowak-Obelinda. Erst dann sei der vollständige Schutz des Denkmals gewährt. Glaubt man Spekulationen polnischer Medien, bestehe bis dahin die Möglichkeit, dass jemand auf den Sprengknopf drückt. Die Dreharbeiten sollen noch in diesem Monat beginnen. (mit Agnieszka Bormann)