Von Ines Klotz
Es klingt schon abenteuerlich, was der heute 82-jährige Gottfried Gruner aus Riesa über sein Leben erzählt. Obwohl skeptisch, packt mich doch ganz schnell die Neugier nach dem Vergangenen, das in alten Fotografien, Urkunden und Dokumenten aufersteht. Auf dem Küchentisch liegen vor uns ausgebreitet zwei Jahrhunderte Menschenleben. Gewürzt mit vielen Details lässt der erzählfreudige Gottfried Gruner Stück für Stück die Pyramide seiner Ahnentafel wachsen. Es ist wie bei einem schwierigen Puzzlespiel, vieles fügt sich, manche Lücke bleibt, manches Teil ging unwiederbringlich verloren.
„Ich bin der Ururenkel von Fürst Pückler, davon bin ich ganz fest überzeugt“, meint jedenfalls Gottfried Gruner. Unwillkürlich denke ich an Pücklereis, die drei leckeren Schichten in Rot, Weiß und Braun zuoberst. Aber erfunden soll es der Fürst Pückler jedenfalls nicht haben. Bis heute streiten sich die Geister, ob die Idee mit dem Schichteis von einem Spion aus Italien nach England geschmuggelt wurde, wo es Pückler kennen lernte und mit nach Preußen brachte, wo man es aus lauter Dankbarkeit nach ihm benannte oder ob ein Berliner Konditormeister das Eis erfand und den Namen Pückler benutzte, weil den alle Welt kannte.
Streit um Erfindung
des Pücklereises
Eine andere Quelle besagt, das Rezept sei von einem Dresdner Konditormeister, „und weil der Pückler immer so orientalisch rumrannte und so auffällig und bunt gekleidet ging, hat der es Fürst-Pückler-Eis genannt.“ Fasziniert von den alten Geschichten sehe ich mich schon in Archiven wühlen, vergilbte Schriften lesen und Ämter bestürmen, um zu klären, ob es stimmt, was Gottfried Gruner erzählt, aber nicht lückenlos beweisen kann.
Was ist denn nun wirklich dran an der Geschichte um den Nachfahren des Fürsten, der in die Historie einging als Gestalter herrlicher Parkanlagen, Schriftsteller, Weltenbummler und Abenteurer? Was ist wirklich geschehen im Jahr 1811, das auch die Wende im Leben Hermann Pücklers brachte?
Als Erbherr von Branitz, als Baron von Gröditz und Standesherr von Muskau trat er mit 26 Jahren nach dem Tod seines Vaters das große Lausitzer Erbe an mit einem utopisch scheinenden Lebens- und Arbeitsplan. Der quirlige Hermann Ludwig Heinrich Fürst von Pückler-Muskau wollte Muskau völlig neu gestalten und seine Standesherrschaft in einen Landschaftspark verwandeln, der an Größe und Schönheit alles Bisherige übertreffen sollte. Ein wahnwitziger Gedanke angesichts des Vorgefundenen und vor allem seiner bisherigen Lebensweise.
Pückler war bekannt als bunt schillernde Gestalt, der mit Leidenschaft und Lastern, immer wieder neuen Schuldenbergen, Tollheiten und absonderlichen Neigungen um jeden Preis auffallen wollte. Wichtig war ihm niemals, was die Leute über ihn redeten, sondern dass sie über ihn redeten.
Nach einer mehrjährigen Wanderung durch die Alpen nach Frankreich und Italien kam der missratene Sohn 1810 nach Muskau zurück, versöhnte sich mit seinem Vater, der kurz darauf starb und entging damit der Gefahr, enterbt zu werden.
Auch wenn ihn jetzt die Verantwortung des Erbes drückte, war er kein anderer geworden. Immer aus auf ein amouröses Abenteuer machte er die Bekanntschaft der unverheirateten Wirtschafterin des Bäckermeisters Schröbler. War es Liebe oder Langeweile, die ihn zu Christiane Bartsch trieb? War es mit Herz oder ohne Kopf?
Fürstliche Abstammung war strenges Geheimnis
Keiner weiß es heute mehr zu sagen. Niemand würde davon reden, wäre nicht in der Folge dieser Liaison am 8. Oktober 1811 der kleine Johann August Karl geboren worden. Als Vater wurde der Bäcker Schröbler eingetragen. Ob Schröbler das kleine „Missgeschick“ adoptieren oder Christiane in der Folge ihren Arbeitgeber heiraten musste, weiß man nicht.
Fakt ist, dass der, wenn tatsächlich uneheliche Sohn des Fürsten, erst im Alter von 54 Jahren von dieser Abstammung, als strenges Geheimnis gehütet, erfuhr. Inzwischen hatte der Schneidermeister selbst acht Kinder in die Welt gesetzt. Eine der drei Töchter, Auguste Ernestine Schröbler, war die Großmutter von Gottfried Gruner, also die Mutter seiner Mutter Martha Alma. Über viele Jahre wurde die fürstliche Abstammung aus den Gedanken verbannt, bis wahrscheinlich in der Zeit des Dritten Reiches durch die geforderten Ahnentafeln das Ganze wieder aufkochte.
Es gibt da nämlich einen Brief aus dem Jahr 1937, der von einem Prozess erzählt, den der uneheliche Sohn um das von Fürst Pückler für ihn beim Hofmarschallamt hinterlegte Mündelgeld in beträchtlicher Höhe geführt hat. In dem Schreiben werden die Gebrüder Michaelis, Schützenhausbesitzer in Triebel bei Muskau, und der Rechtsanwalt Neumann beschuldigt, durch Meineid den Empfang des Geldes geleugnet zu haben. Der Urgroßvater von Gottfried Gruner wurde also demnach um sein rechtmäßiges Erbe gebracht.
Viele Fragen bleiben dazu offen. Die permanente Geldnot des Fürsten war bekannt, möglich wäre, dass er später seine Freizügigkeit bereute und das Geld über Umwege seinem Parkprojekt wieder zufloss, an dem er im Gegensatz zu allem anderen mit erstaunlicher Energie und Hartnäckigkeit festhielt. Wenn man bedenkt, dass seine neun Jahre ältere Ehefrau Lucie 1823 nach sechs Ehejahren ihrem Mann die Scheidung anbietet, um einen Ausweg aus dem finanziellen Dilemma zu finden, scheint alles möglich. Fürst Pückler sollte nämlich nach England gehen, um nach einer jungen, reichen Braut Ausschau zu halten, damit man dann in der Lausitz die Ehe zu dritt weiterführen könne und den genial geplanten Park von Muskau vor dem endgültigen Fiasko zu retten.
Kreative vom Ururgroßvater geerbt
Heftig waren die alten Zeiten, und doch blickt der in Gröba geborene Gottfried Gruner stolz in die Vergangenheit. „Das Kreative habe ich wahrscheinlich von meinem Ururgroßvater geerbt. Er hat Parks und Gärten entworfen und angelegt, und ich mache selbst heute viele Holzarbeiten in meiner Tischlerwerkstatt.“ Ein großes Bild hat er sich rahmen lassen vom alten Fürsten, und die alten Dokumente bewahrt er wie ein Heiligtum.
So richtig ernst, scheint es, nimmt ihn dennoch niemand. Dafür fehlen die amtlichen Bestätigungen, die schwer zu beschaffen sind, erzählt Gottfried Gruner. Aber auch ohne Behördenpapier ist es eine schöne Geschichte vom genialen Ururgroßvater und den Irrungen und Wirrungen durch alle Zeiten.