Von Jens Ostrowski
Die Welt versteht Jürgen Gräf schon lange nicht mehr. Seit fast zwei Jahren gibt es einen Stadtratsbeschluss zur Umbenennung der Dr.-Kurt-Fischer-Straße in Poppitz. Getan hat sich bislang nichts. Für den 60-jährigen Nünchritzer ist diese lange Zeit ein Schlag ins Gesicht. Denn Gräf ist Opfer der zweiten deutschen Diktatur. Und Fischer war einer ihrer Mitbegründer.
Seit Jahren schon kämpft Gräf, der durch seinen Ausreiseantrag und die Verteidigung dessen damals nicht nur seinen Arbeitsplatz verlor, sondern auch in Bautzen II inhaftiert wurde. Für ihn sei es deshalb unerträglich, dass 25 Jahre nach dem Mauerfall noch immer Straßen nach Trägern des Systems benannt seien. Deshalb mischt sich jetzt auch Dr. Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, ein. In der ehemaligen Haftanstalt wurden seit 1951 Zehntausende vor allem politische Häftlinge physisch und psychisch gefoltert.
„Er half, die Diktatur durchzusetzen“
„Als sächsischer Innenminister, Präsident der Deutschen Verwaltung des Innern und Chef der Volkspolizei hat er maßgeblich am Aufbau der SED-Diktatur mitgewirkt. Die Schlüsselpositionen in Polizei und Justiz wurden damals von den Sowjets gezielt mit Funktionären besetzt, die ihre Politik der Gleichschaltung skrupellos umsetzten. Fischer war ein besonders wichtiger Funktionär. Er half, die Diktatur in Ostdeutschland durchzusetzen“, erklärt Hubertus Knabe.
In seiner Amtszeit zwischen 1945 und 1950 seien zahllose Menschen eingesperrt oder getötet worden. „Über 120 000 Menschen saßen allein in den sogenannten Speziallagern, die ein Drittel der Insassen nicht überlebte. In jeder Stadt gab es sogenannte GPU-Keller, in denen die Inhaftierten verhört und oft misshandelt wurden. Tausende wurden in die Gulags deportiert, über 1 000 erschossen. Bei der Verhaftung all dieser Menschen leistete die ostdeutsche Polizei systematisch Amtshilfe“, so Knabe.
In seinen verschiedenen Funktionen habe Fischer den Polizeiapparat aufgebaut und gesteuert. Und er habe dafür gesorgt, dass zahlreiche Menschen verhaftet und an die sowjetische Geheimpolizei übergeben wurden. Einige seiner Genossen haben ihn später sogar beschuldigt, den sächsischen Ministerpräsidenten Rudolf Friedrichs vergiftet zu haben. Hubertus Knabe hat deshalb eine deutliche Haltung zu Fischer als Namensgeber für Straßen. „Sein Name wurde nach der friedlichen Revolution von 1989 fast überall aus dem Straßenbild getilgt. Zu Recht, denke ich. Weil Straßennamen eine wichtige Form öffentlicher Erinnerung sind“, erklärt Knabe. Man würdige damit Menschen, die besondere Verdienste haben oder heute ein Vorbild sein könnten. Fischer gehöre sicher nicht dazu. Statt an einen kommunistischen Polizeifunktionär solle man lieber an Menschen erinnern, die sich dem Aufbau der Diktatur entgegengestellt haben. Zum Beispiel an Herbert Belter, der 1951 mit 21 Jahren hingerichtet wurde, weil er, wie die Geschwister Scholl, ein paar Flugblätter verteilt hatte. „Straßennamen dieser Art gibt es leider bislang so gut wie keine“, sagt Hubertus Knabe. Auch eine Erinnerung an die Streikführer vom 17. Juni 1953 im Stahlwerk Riesa würde sich in Poppitz für die Straßenbenennung eignen. „Auch die sind leider dem Vergessen anheimgefallen. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Riesa gingen die Arbeiter damals auf die Straße, um gegen die DDR-Regierung zu protestieren. Als die Rote Armee daraufhin in die Stadt einmarschierte und den Streik niederschlug, wurden die Wortführer verhaftet. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn in Riesa an sie erinnert würde“, sagt Knabe. Andere Beispiele gäbe es stattdessen zuhauf. „Untersucht man heute die Straßennamen in den neuen Bundesländern, kommt noch immer eine erschreckende Anzahl von Straßen zum Vorschein, die Feinden der Demokratie gewidmet sind.“
Darüber, vor allem aber über die Situation in Riesa zeigt sich Jürgen Gräf bitter enttäuscht. „Über Jahre schon reagieren weder Parteien, noch die Stadt auf meine Briefe“, sagt Gräf, der durch seinen Ausreisewunsch zehn Monate lang in Haft war, bevor er freigekauft wurde. Als er dann vor zwei Jahren in der SZ vom Stadtratsbeschluss las, der eine Umbenennung der Dr.-Kurt-Fischer-Straße vorsehe, habe er sich gefreut. Dass der Beschluss bis heute nicht umgesetzt worden sei, ärgere ihn maßlos. „Man hat das Gefühl, dass wir Opfer der SED-Diktatur überhaupt nicht wahrgenommen werden.“
Die Stadtverwaltung Riesa verweist unterdessen darauf, dass sie einen neuen Stadtratsbeschluss benötige, um tätig werden zu können, erklärte Sprecher Uwe Päsler gestern. Denn die Umbenennung war damals an die Sanierung der Fahrbahn in der Fischer-Straße gekoppelt worden, die dringend nötig ist. Und für die gebe es derzeit im Rahmen der angespannten Haushaltslage allerdings kein Geld. „Deshalb müsste der Beschluss jetzt wieder entkoppelt werden.“
„Wenn das mal nicht wieder zwei Jahre dauert“, sagt Gräf entgeistert.