Von Jörg Marschner
Der Kasten Bier verschwindet zur Hälfte im 20 Zentimeter tiefem Wasser. Thomas Karsch setzt den zweiten einen Meter daneben ziemlich in die Mitte des großen Ladens und legt über beide ein breites Brett. Auf die stellt er zwei Elektroheizungen. Zum Glück hat das Haus noch Strom. Die Elbe hat wenige Zentimeter unter den Schaltkästen Halt gemacht. Das war gestern am frühen Vormittag.
Als Thomas Karsch gegen elf Uhr erneut nach dem Thermometer sieht, ist er richtig froh: "Die Temperatur im Laden ist um zwei Grad gestiegen." Thomas Karsch hat eine Heidenangst vor dem Frost. Dass das Wasser knapp fünf Monate nach der großen Flut schon wieder in seinem Laden steht, ist gewiss fürchterlich. Aber der schlimmere Feind ist dieses Mal der Frost: "Wer weiß denn, wie das mit Wasser voll gesogene Mauerwerk reagiert, wenn plötzlich alles gefriert?"
Thomas Karsch, 49, wirkt seltsam gefasst. Kein Wort der Klage, der Resignation kommt von ihm. "Ich bin geschockt", sagt er. Erst vor drei Wochen, am 15. Dezember, konnte er seinen Lebensmittelladen wieder eröffnen. Es ist der einzige im Kurort Rathen, er liegt dort, wo der Weg zum Amselfall abzweigt und mithin schon hundert Meter weg vom Elbufer. Aber die Elbe hat sich in den Grünbach hineingedrückt und leckt nun sogar schon an den Häusern am Eingang zum Amselgrund. Nie hätten die Rathener für möglich gehalten, dass sie im kurzen Zeitraum von nur fünf Monaten von zwei schweren Hochwassern getroffen werden. "1995 hat die Elbe fünf Zentimeter vor meinem Laden Halt gemacht, 1988 und 1981 - damals war das noch Konsum - hat sie ihn überflutet", sagt Thomas Karsch. "Das waren noch Abstände, aber jetzt . Ich bin geschockt", wiederholt der Einzelhändler. Einen Trost hat er in allem Unglück: Sein zweiter Laden in Stadt Wehlen blieb dieses Mal verschont.
Ob das Land wieder hilft, ist völlig unklar
Dank der Hilfe der Sächsischen Aufbaubank, dank der vielen Spenden von Freunden des Kurortes Rathen konnte Thomas Karsch die Folgen der Augustflut einigermaßen überstehen. Aber was nun wird, weiß er nicht. Zum Glück konnte er mit der Unterstützung vieler Rathener binnen weniger Stunden die ganze Ladeneinrichtung und die Waren retten. Die Kühltechnik haben sie fürs Wasser unerreichbar hochgesetzt. Damit ist viel gewonnen. Aber leicht verderbliche Waren muss Thomas Karsch mit Sicherheit abschreiben. Und ob der neue Putz dranbleiben kann oder nicht zu halten ist, muss die Baufirma entscheiden. Auf jeden Fall werden die Schäden wieder in die Tausende gehen. Und ob das Land wieder hilft, ist völlig unklar. Doch Thomas Karsch will sich innerlich nicht verrückt machen. Sobald die Elbe den Rückzug angetreten hat, wird er insgesamt zehn Heizungen aufstellen, um den Frost vom Mauerwerk fern zu halten und die Wände zu trocknen. "Vielleicht kann ich in 14 Tagen schon wieder öffnen", sagt Thomas Karsch voller Hoffnung.
An der tiefsten Stelle des Rathener Hauptweges liegt der Imbiss-Kiosk von Andreas Roch. Von dem kleinen massiven Bau ragt jetzt gerade mal noch das Spitzdach aus dem Wasser. Die Ware konnte Roch retten, weil er vom Bürgermeister rechtzeitig gewarnt wurde. Aber die Lüftungsanlage samt Motor und Steuerteile konnte er nicht ausbauen. Die wird wohl hinüber sein. Nach der Augustflut konnte der junge Mann schon gut zwei Wochen später wieder die ersten Touristen bedienen. Ein Kiosk trocknet eben schneller als ein altes großes Haus mit Sandsteinsockel. "Aber was jetzt wird bei dem zunehmenden Frost, das ist überhaupt nicht abzusehen", sagt Andreas Roch voll böser Ahnungen.
Stege und Bretter führen über Wasser und Eis
Der Kurort Rathen ist gegenwärtig nur über Waltersdorf und die steil bergab führende Straße zu erreichen. Sie endet jetzt schon am Gemeindeamt, wo ein Ruderboot auf der Straße liegt. Mit ihm haben Achim Rothe und andere Helfer am Wochenende, als die Elbe immer schneller stieg, noch Sandsäcke zu den gefährdeten Häusern transportiert. Jetzt können sie das Plasteboot nicht mehr nutzen. Es ist für die Eisdecke, die sich inzwischen auf dem zum Teil metertiefen Wasser gebildet hat, zu leicht gebaut. Auch Dietmar Thonig steht am Gemeindeamt und schaut auf die Eisfläche, unter der sich der Rathener Hauptweg befindet. Thonig schüttelt den Kopf. Unfassbar, was sich hier schon wieder abspielt.
"Zum Glück steigt das Wasser jetzt nicht mehr", sagt Thonig. Die Rathener sind gut informiert. Sie halten ständige Verbindung mit dem tschechischen Usti (Aussig). Dort stand der Pegel am Morgen bei 7,60 Meter, jetzt am Mittag bei 7,61 Meter. Also Stagnation. Das gibt Hoffnung. Auch für Thonig; er hofft, dass die Elbe die Schaltkästen nicht erreicht und der Strom nicht abgeschaltet werden muss, wie es in einigen Teilen von Rathen schon geschehen ist. Thonig wohnt mit seiner Familie Am Grünbach 4 - zum Glück im 2. Stock, denn die Elbe reicht bis ans Erdgeschoss. Der "Biergarten am Bach" ist überflutet. Sozusagen in letzter Minute konnte die Bierstube ausgeräumt werden, Dietmar Thonig hat selbstverständlich mit angefasst. In solchen Notsituationen hilft jeder jedem. Auch ein Souvenirkiosk - gleich neben dem von Andreas Roch - steht tief im Wasser: das vierte Opfer unter den Rathener Gewerbetreibenden.
Ostern soll nichts mehr an die Fluten erinnern
Wer vom Ruderboot am Gemeindeamt aus weiter in den Kurort hinein will, muss sich auf leicht schwankende Bretter und Stege begeben. Links gehen sie hoch zum Trebenweg, über den sich das hochgelegene Elbufer erreichen lässt. Rechts führt der Notweg zu Hotel und Restaurant "Amsel grunds chlösschen". Mit einem riesigen Transparent quer über den Weg dankt Familie Gehrig den vielen Helfern "für die großartige Unterstützung während und nach dem Hochwasser. Wiedereröffnung Ostern 2003". Nun reicht die Elbe schon wieder bis auf den tief gelegenen Hof.
So schlimm das alles ist, zur Augustflut steht es in keinem Verhältnis. Damals stieg die Elbe bei Rathen auf rund zwölf Meter, jetzt verharrt sie bei 7,54 Meter, wie Bürgermeister Thomas Richter informiert. Damals wurde fast die ganze Gastronomie total geschädigt. Jetzt gehen in den meisten Restaurants und Hotels die Instandsetzungsarbeiten unvermindert weiter. Ostern will sich der romantische Kurort seinen Gästen wieder in altem Glanz präsentieren. Der Bürgermeister gibt sich jedenfalls optimistisch: "Ich denke, wir schaffen das trotz des neuerlichen Hochwassers."