Von Birgit Holthaus
Will tatsächlich jeder vierte Jugendliche in Riesa in die alten Bundesländer auswandern? So müsste es eigentlich sein, traut man den Ergebnissen der sächsischen Jugendstudie, die das Sozialministerium in der vergangenen Woche vorstellte. Die SZ befragte Jugendliche auf dem Bolzplatz, bei Proben im Bandkeller, in einem Jugendhaus und auf dem Projekt- und Erlebnis-Gut Göhlis, ob auch sie weg wollen.
Lehr- und Wanderjahre
Doch nur der 18-jährige Benny Land ist der Arbeit wegen nach Bayern gezogen. Alle anderen fühlen sich in ihrer Heimat „pudelwohl“, wie die 19-jährige Tony Kretzschmar sagt. Familie und Freunde sind für die Grafik-Assistentin das Wichtigste. So geht es auch dem 15-jährigen Dominik Franz, der mit seinen Freunden eine Band gegründet hat und sich seit einigen Wochen zum Proben im Keller des Offenen Jugendhauses in der Bahnhofstraße trifft. Die 20-jährige Nicole George, die zurzeit ein Praktikum in einer Jugendeinrichtung macht, plant danach ein Studium der Sozialarbeit – aber an einer Hochschule in der Heimat.
„Lehr- und Wanderjahre“ seien doch für junge Menschen typisch, so sei es nichts Ungewöhnliches, wenn es sie in die Ferne ziehe, sagt Dirk Haubold, Leiter der Kulturschleuder. „Schlimm ist nur, wenn wir ihnen keine Perspektive zur Rückkehr bieten. Nämlich dann, wenn sie eine Familie gründen wollen und zum Beispiel die Nähe zu den Großeltern wieder wichtig wird.“ Eher wenig Chancen für „seine“ Jugendliche, egal ob in Sachsen oder anderswo, sieht Volker Herold vom Jugendverein „Sprungbrett“. „Es ist eben schwer, wenn man nicht die richtigen Bildungsvoraussetzungen mitbringt.“ Auf dem Projekt- und Erlebnis-Gut Göhlis bietet der 38-Jährige benachteiligten Jugendlichen Möglichkeiten zur Weiterqualifikation.
„Es wird doch schon ziemlich ausgesiebt, wenn man für eine Lehre zum Mechatroniker nur mit Abitur genommen wird.“ Einer seiner jungen Mitarbeiter, der jedoch seinen Namen nicht nennen möchte, meint dazu: „Die, die wegziehen, denken doch, es ist woanders leichter. Doch wenn man will, schafft man es überall.“ Oberbürgermeisterin Gerti Töpfer hält es für wichtig, „dass sich junge Leute in Deutschland und auch im Ausland umsehen, um Erfahrungen für ihre Lebensplanung zu sammeln.“ Doch die wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen und die demografische Situation führen ihrer Meinung nach jetzt dazu, „dass attraktive Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten entstehen.“
Nie zuvor hätten sächsische Unternehmen so intensiv um die jungen Leute geworben. Dies kann Feralpi-Chef Frank Jürgen Schaefer nur bestätigen. „Der Trend hat sich in diesem Jahr umgekehrt“, sagt der Werksdirektor der Stahlwerke in Riesa. „Inzwischen ist es so, dass wir auf die Schulen zugehen, um die Jugendlichen für unseren Betrieb zu interessieren.“ 39 Auszubildende seien bei Feralpi derzeit beschäftigt, vor allem im gewerblich-technischen, aber auch im kaufmännischen Bereich.
Jugendparlament gefragt
OB Töpfer ist überzeugt, dass „Lebenshaltungskosten und Infrastruktur noch auf Jahre in Sachsen deutlich besser sein werden als in den alten Bundesländern“.
Sie will anregen, „dass sich das Riesaer Jugendparlament mit den Inhalten der Jugendstudie auseinander setzt und seine Meinung im Ausschuss für Kultur, Schulen und Soziales vorträgt.“