Von Daniela Pfeiffer
Sie wollen nur noch raus. Es ist zu viel vorgefallen. Yvonne Hübner und ihr Mann fühlen sich in ihren vier Wänden nicht mehr wohl. Nicht mehr sicher. Sie leben in einer Dachwohnung in der Innenstadt – als einzige Mieter des Hauses. Alle anderen Räume im Haus werden gewerblich oder gar nicht genutzt.
Die Haustür schließt Yvonne Hübner immer ab, sagt sie. Trotzdem sei der Familie bereits ein Fahrrad gestohlen worden, ein Kindertraktor ist verschwunden, anderes Spielzeug zerstört worden. Doch es kam noch schlimmer. Eines Morgens erschrak sich Yvonne Hübners älterer Sohn, weil er auf dem Weg zum Kindergarten schon vorpreschte und im Hausflur auf einen fremden Mann traf. Offenbar ein Obdachloser oder Trinker, der im Hausflur übernachtet hatte. „Ich habe ihm gesagt, hier wäre ein Privathaus, er solle verschwinden. Dafür musste ich mich als Rassistin beschimpfen lassen. Die Kinder hat das natürlich ganz schön verängstigt.“
Dass leere Bier- und Schnapsflaschen im Hausflur stehen, damit hat sich die 36-Jährige schon beinahe abgefunden. Aber nicht damit, dass in den Kinderwagen uriniert wurde, der immer unten im Hausflur steht. Wie jemand überhaupt reinkommt, wenn sie doch immer abschließe, kann sie sich nicht erklären. „Das geht ja eigentlich nur über die Seiteneingänge, die in das Haus führen“, sagt sie und meint damit vor allem die Spielothek im Nachbarhaus. Der Betreiber habe ihr gegenüber aber versichert, dass kein Gast durch diese Tür komme. Gegenüber der SZ wollte sich der Betreiber nicht äußern.
Blaue Flecken am Rücken
Besitzer des Hauses soll ein Mann sein, der in Dubai lebt. Die Hausverwaltung sitzt in Leipzig und antwortete bislang auf eine SZ-Anfrage nicht. Yvonne Hübner und ihr Mann sind indes entschlossen, auszuziehen. Zwei Vorkommnisse haben sie endgültig in ihrem Entschluss bestärkt: Zuerst seien die untersten Stufen der Kellertreppe vor Kurzem von einer seltsamen Schmiere überzogen gewesen. Frau Hübner rutschte aus und hat noch jetzt, drei Wochen später, blaue Flecken am Rücken. Vor einigen Tagen schließlich hat jemand versucht, die Kinderwäsche anzuzünden, die sie auf dem Wäscheständer vor ihrer Wohnung aufgehängt hatte. „Das sind langsam zu viele Zufälle. Ich habe inzwischen wirklich Angst um meine Kinder“, sagt die junge Frau.
Die Polizei hat sie nur zweimal verständigt. Raik Schulze, Chef des Görlitzer Polizeireviers, bestätigt das. Das gestohlene Fahrrad wurde in Polen gefunden und der Familie zurückgegeben. Der Täter ist geschnappt. Zur Brandsache laufen noch Ermittlungen. „Es sieht so aus, als wäre jemand mit einem Streichholz unter den Sachen lang gegangen“, sagt Schulze. In dieser Woche ist ein Bürgerpolizist bei der Familie gewesen, um sich die Lage nochmals schildern zu lassen.
Der Familie kann Raik Schulze nur raten, bei unerwünschtem Besuch im Hausflur sofort die Polizei zu verständigen. Das habe Frau Hübner nicht getan, sondern diesen selbst zur Rede gestellt. „Wenn eine unberechtigte Person ins Haus kommt, ist das Hausfriedensbruch. Wir sind sehr daran interessiert, zu erfahren, wer das ist.“ Man nehme die Ängste von Bürgern sehr ernst, könne aber nichts unternehmen, wenn die Betroffenen die Polizei nicht informieren.
Familie Hübner steht indes vor einem weiteren Problem. Denn das mit dem Ausziehen ist nicht so leicht. Sie finden einfach keine neue Wohnung. Vier Zimmer sollten es schon sein – mit den zwei Kindern. Und in der Innenstadt wollen sie auch gern bleiben. Denn hier wohnt auch die Großmutter. Weil aber beide Hartz-IV-Empfänger sind, darf die Miete 3,82 Euro pro Quadratmeter nicht übersteigen.
Für einen solchen Preis ist in der Innenstadt so gut wie keine Wohnung zu haben. Das sagt auch Marion Rupprich von der Wohnungsbaugesellschaft Görlitz (WBG). „Wir haben hier vorwiegend Gründerzeithäuser mit großzügig geschnittenen Wohnungen. Flächen und Preise überschreiten die Bemessungsgrenzen für Hartz-IV-Empfänger deutlich.“ Anfragen hätten sie immer wieder. Sie bemühen sich auch, zu tun, was möglich ist. Oft aber müssen sie Hartz-IV-Familien auf die Stadtteile verweisen. „Ich fürchte, sie werden in der Innenstadt nichts finden“, sagt Marion Rupprich. Und fügt in aller Deutlichkeit hinzu: „In Görlitz muss niemand unter der Brücke schlafen. Aber man muss auch im Rahmen seiner Möglichkeiten bleiben.“