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„Ich hätte gern das Doppelte geschrieben“

Die Leipziger Historikerin Heidi Roth hat am Donnerstagabend die Neubearbeitung ihres Buches „Der 17. Juni 1953 in Görlitz“ im Apollo vor knapp 50 Zuhörern vorgestellt. Außerdem führte Dirk Jungnickel seinen Dokumentarfilm „Schicksalstag 17 Juni“ auf.

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Von Peter Chemnitz

Heidi Roth lässt das Geschehen im Juni 1953 in Sachsen und speziell in Görlitz nicht los. „Ich hätte gern das Doppelte geschrieben“, gestand sie im Apollo. Immer wieder sei sie in Archiven und durch Zeitzeugenberichte auf neue Spuren gestoßen. So habe kurz vor Redaktionsschluss ihrer Dokumentation noch die Niederschrift über ein Gespräch von Bischof Hornig mit dem sowjetischen Stadtkommandanten Klepikow in das Büchlein aufgenommen werden können. Dieses Schriftstück unterstreiche, dass sich die evangelische und auch die katholische Kirche konsequent auf die Seite des Volkes gestellt haben, sagte Frau Roth. Das sei nach dem derzeitigen Stand der Geschichtsforschung in keiner anderen Stadt in so herausragender Weise der Fall gewesen. Der Bischof hatte am 19. Juni dem Stadtkommandanten unter anderem mitgeteilt, dass das Volk „nicht länger von einer Partei regiert“ werden, sondern „in freien Wahlen Männern ihres Vertrauens an der Regierung sehen will“. Außerdem bat der Bischof, die aus Anlass der Kundgebung Verhafteten wieder freizulassen. Immer wieder sei für sie erschütternd, wie sehr der 17. Juni und die folgenden Repressalien in die Biografien der Menschen und ihre Schicksale eingegriffen haben, sagte die Historikerin, die tausende Akten in den Händen hatte. Sie erinnerte an die Einwohner von Zodel, die ein Jahrzehnt lang über Gnadengesuche versuchten, eingesperrte Nachbarn aus der Haft zu bekommen, mit ihrem Engagement aber das Gegenteil erreichten.

Dokumentation ist auch für die Schulen geeignet

Die Beschäftigung mit den Ereignissen des 17. Juni 1953 sollte im Alltag ankommen, mahnte der Bautzener Verleger Frank Stübner, in dessen Lusatia-Verlag Heidi Roths Buch erschienen ist. Die in Zusammenarbeit mit der Stadt Görlitz herausgegebene Dokumentation sei auch ein wichtiges Material für den Unterricht in der Region. Die sich an die Lesung anschließende, spannende Diskussion zwischen Zeitzeugen und der Historikerin wurde leider sehr schnell auf Intervention von Regisseur Jungnickel abgebrochen, der auf einem pünktlichen Filmbeginn bestand. In dem für die politische Bildung gedrehten Streifen wird sehr anrührend unter anderem über das Schicksal der beiden Görlitzer Ingo Havenstein und Günther Assmann, die beide an der Veranstaltung teilnahmen.