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„Ich mach die Tür zu und komm nicht wieder“

In gut zwei Wochen bekommen die letzten Schüler in der Friedrich-Wolf-Mittelschule Langebrück ihre Abschlusszeugnisse. Dann wird die Schule, im 30. Jahr ihres Bestehens, ausgeräumt, abgeschlossen und abgerissen.

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Von Iris Schmidt

In gut zwei Wochen bekommen die letzten Schüler in der Friedrich-Wolf-Mittelschule Langebrück ihre Abschlusszeugnisse. Dann wird die Schule, im 30. Jahr ihres Bestehens, ausgeräumt, abgeschlossen und abgerissen. Grund: mangelnde Schülerzahlen in Dresdens Ortschaft. Familien aus dem Ort, Lehrer und Schüler, Eltern und Großeltern nahmen am Sonnabend mit einem Fest Abschied von ihrer traditionsreichen Bildungseinrichtung.

Es geht ihm nahe, dass es seine Schule bald nicht mehr gibt. Das war Enrico Kotzsch aus Langebrück anzusehen. Der gestandene Mann von Mitte vierzig hatte als 14-Jähriger die Schule 1972 mit eingeweiht. Am Sonnabend war er mit Kind und Kegel gekommen, um Abschied zu nehmen. Er erinnert sich gern, dass er mit dem ehemaligen Direx, Herrn Mühlstädt, den Biohof bepflanzt und eingerichtet hat: „Wir haben ein Terrarium gebaut, war schon schön damals“. Nun gibt er noch einmal seinen ehemaligen Lehrern die Hand.

Viele sind gekommen, und Schulleiterin Petra Tomisch freut sich besonders über Annelies Hofmeister, die hier bis 1975 Deutsch unterrichtet hat. Sie ist heute 86 Jahre alt. Als sie auf ihren Schönborner Kollegen Johannes Pessner trifft, er ist sechs Jahre jünger und war bis 1984 in dem Haus tätig, gibt es ein herzliches Wiedersehen. Die beiden stoßen mit einem Glas Sekt an und sind sich einig, dass es schade ist um die Schule.

„Die Kollegen haben Recht, es geht ein kulturelles Zentrum verloren“, sagt Petra Tomisch. Sie und ihre Mitstreiter werden im neuen Schuljahr ab August an Dresdner Schulen unterrichten. Den Radeberger Informatiklehrer Friedemann Werner verschlägt es nach Dresden-Klotzsche an die 82. Mittelschule. Von ihm stammt die Homepage der Langebrücker Schule. Er will sie im weltweiten Netz stehen lassen und sagt: „Mal sehen, was passiert“. Am Sonnabend betreut er das Internetcafe zum letzten Mal und kann sich über mangelndes Interesse nicht beklagen. Alle Plätze sind besetzt und es klickt unentwegt. Nach seinem letzten Tag in Langebrück macht er die Tür zu und kommt nicht mehr wieder. Ein harter Schnitt, kein langer Abschied.

Auch kleine Schulen haben ihre Berechtigung

Weil die Türen aller Klassenzimmer weit offen stehen, gehen viele Besucher durch das ganze Haus. Es waren Hunderte, die zum letzten Schulfest gekommen waren. Die beiden Schwestern Patricia und Peggy Klimmer sehen sich die Videos der vorherigen Schulfeste an. „Ach, das ist doch die Zeichenlehrerin Frau Müller“, ruft die Ältere der Schwestern aus. Beide haben nur gute Erinnerungen an die zehn Jahre ihres Lebens, die sie hier verbracht haben, so Patricia. Für sie war 1993 Schluss. „Das ist schon traurig, dass die Schule abgerissen wird, aber das Haus ist eben auch 30 Jahre alt“, sagt die junge Frau, die heute in Dresden als Röntgenassistentin arbeitet. Die beiden Schwestern gehen mit ehemaligen Klassenkameraden eine Tür weiter, und da stehen zwei junge Mädchen bereit. Olivia Ellek und Stephanie Sommer preisen eifrig ihre Fischsemmeln an. Ihre achte Klasse geht gemeinsam nach Weixdorf in die dortige Mittelschule. Eigentlich freuen sich beide darauf, wenn nur der weite Schulweg nicht wäre. Daran wird man sich gewöhnen, hoffen sie.

Auch der stellvertretende Ortsvorsteher, Johannes Klosowski, hat sich in der Schule eingefunden. In der Fotogalerie entdeckt er seine beiden Töchter. Auch sie sind in Langebrück zur Schule gegangen. Zum Abschied lobt er das gute Klima in der Friedrich-Wolf-Mittelschule und spricht sein Bedauern über die Schließung aus, will aber keinem Beamten eine Schuld zuweisen. „Warum geben wir nicht mehr Geld für die Bildung aus, auch an kleinen Schulen?“ fragt Johannes Klosowski nachdenklich. Investitionen in die Jugend wären die besten, die es überhaupt gibt, bekennt er. Nach den schrecklichen Ereignissen von Erfurt wünscht er sich ein Umdenken. Johannes Klosowski will die Hoffnung auf eine Mittelschule in Langebrück nicht begraben: „Wer weiß, vielleicht öffnet eines Tages doch wieder eine hier?“