SZ +
Merken

„Ich steige nicht herab vom Kreuz“

Bei seinem letzten großen Auftritt erlebt Benedikt XVI. noch einmal die Begeisterung von Zehntausenden Gläubigen.

Teilen
Folgen

Von Paul Kreiner, SZ-Korrespondent in Rom

Sie renovieren die Kolonnaden in Rom. Jeder Dreck soll aus den Ritzen, von allen Heiligen sollen die Verkrustungen weg. Sauber sollen Berninis Säulenhallen sein, dieses gewaltige Oval, diese weit geöffneten Arme, von denen sich Pilger und Touristen vor dem Petersdom aufgenommen sehen. Säubern wollte Benedikt XVI. seine Kirche. Und tatsächlich: Die Kolonnaden strahlen schon los, in fast reinem, blendendem Weiß. Da ist kein weicher Barock mehr. Hart ist der Kontrast zum stahlblauen römischen Himmel. Jetzt geht der Papst. Und jeder in der Menschenmasse sieht es: An den Säulen des Vatikans ist die Arbeit erst zur Hälfte getan.

Mit dem Papamobil lässt sich Benedikt vor der letzten Generalaudienz auf dem Petersplatz durch die Menge jubelnder Pilger fahren.Foto: dpa/Michael Kappeler
Mit dem Papamobil lässt sich Benedikt vor der letzten Generalaudienz auf dem Petersplatz durch die Menge jubelnder Pilger fahren.Foto: dpa/Michael Kappeler

Es ist der erste wirkliche Frühlingstag des Jahres in Rom. Es ist Zeit für Benedikts letzten öffentlichen Auftritt. Um diese Jahreszeit kommen normalerweise etwa 10 000 Menschen zur wöchentlichen Generalaudienz des Papstes. Seinen Abschied diesmal wollen 150 000 sehen. Voll ist der Petersplatz, genauso wie am Abend des April 2005, als der weiße Rauch aufstieg aus dem Giebel der Sixtinischen Kapelle und Joseph Ratzinger auf dem Balkon des Doms die Arme hochriss: „Liebe Brüder und Schwestern, nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich gewählt, einen einfachen und demütigen Arbeiter im Weinberg des Herrn.“

Im Publikum heute: Lauter Benedikt-Fans. „Benedetto, wir lieben dich! Einen wie dich finden wir nie mehr!“ Das bayerische Pilgerbüro hat eine Papst-Abschiedsreise organisiert, ein paar Tausend sind eigens für diese Generalaudienz über die Alpen gekommen. „Das musste einfach sein“, sagt ein junger Goldschmied aus Erding. „Dieser Papst hat mich immer dermaßen bewegt in meinem Leben.“ Eine Thüringerin, „als Atheistin aufgewachsen“, hat sich als Erwachsene eigens wegen Benedikt taufen lassen. Jetzt hat sie ihren neuen Namen – Eva Benedicta – auf ihr Fan-T-Shirt gedruckt und trägt den Papst als Goldmedaillon um den Hals.

„Ich bin meinem Mann so dankbar“ sagt eine Frau aus dem Ruhrgebiet. „Er hat mich zu meinem besten Freund fahren lassen.“ Bester Freund? „Ich war in einer furchtbaren Lebenskrise, dann habe ich Benedikt bei einer Generalaudienz in Rom erlebt; ich habe bei seinen Worten, bei seinem Glauben so viel Mut gefasst, da ist in mir so viel passiert.“

Gebete und Sprechchöre

Aus einem Stuhlgeviert des Platzes schallt ein Rosenkranzgebet, in einem anderen skandieren sie unentwegt „Be-ne-detto, Be-ne-detto“. Sie recken rote Herzen in die Luft und bayerische, polnische, brasilianische, spanische, US-amerikanische Fahnen. Die Sonne schafft schon deutliche Rötungen auf winterbleichen Gesichtern, da kommt er. Zum Abschied sogar in einem neuen Papamobil. Benedikt XVI. fährt zum letzten Mal durch die jubelnde Menge. Fast 86 Jahre ist er jetzt alt, aber einen schwächeren Eindruck macht er nicht als bisher. Und bleich ist er auch nicht.

Eigentlich sollte es ja auch an diesem Mittwoch eine ganz normale Generalaudienz werden, aber davon kann natürlich keine Rede sein. Links sitzt in großer Aufmachung das Diplomatische Korps und rechts leuchten zahlreich die roten und die violetten Käppis hoher kirchlicher Würdenträger. Zwanzig, dreißig Kardinäle natürlich in den ersten Reihen – und auffallend häufig fährt die Kamera des vatikanischen Fernsehens ganz nahe an ihnen vorbei: Welches Gesicht soll man sich einprägen? Wer von diesen älteren Herren wird in zwei oder drei Wochen auf der Loggia des Petersdoms die Arme hochreißen?

Benedikt XVI. liest mit heiserer, aber fester Stimme seine letzte „Katechese“ vom Blatt. Und war bei seinen ersten Messen als Papst noch aufgefallen, wie trotz absolut ruhiger Körperhaltung seine Augen überall herumeilten, um alles, noch die kleinsten Vorgänge ringsherum wahrzunehmen, so ist auch diese, diese letzte Unruhe abgeklungen.

Die letzten Äußerungen des Kardinals Joseph Ratzinger, die kurz vor dem Konklave 2005 schon als eine Art programmatischer Regierungserklärung fürs Papstamt gedacht waren, die sind wegen ihrer Düsternis in Erinnerung geblieben. Da beklagte Ratzinger den „Schmutz in der Kirche“, auch den unter Klerikern, da geißelte er die „Diktatur des Relativismus“ und – auch in der Kirche – die Wankelmütigkeit des Denkens.

Nach knapp acht Jahren Pontifikat ist von dieser Schwärze nichts mehr zu sehen. Ratzinger verabschiedet sich als geradezu heiterer, auf jeden Fall gelöster Papst. „Mein Herz ist voll von Freude und Dankbarkeit“, sagt Benedikt XVI.: „Die Kirche lebt, das zeigt ihr mir alle, die ihr heute so zahlreich gekommen seid. Das zeigen mir die Briefe, in der mir Brüder und Schwestern aus aller Welt, wie echte Familienmitglieder, ihre Nähe bekunden und die mir zu Herzen gehen.“ Von Gott „wirklich geleitet“ hat sich Benedikt im Papstamt gefühlt: „Jeden Tag habe ich seine Nähe gespürt. Nie war ich allein.“

Und dann kommt, in unverändertem Tonfall, auf einmal schärfster Tadel. Kardinal Stanislaw Dziwisz, der als Sekretär Johannes Pauls II. dessen ganze Leidensjahre mitdurchlebt hat, hatte Benedikt für seinen Rücktritt gerüffelt. „Man steigt nicht herab vom Kreuz!“, hatte Dziwisz gerufen, und Benedikt XVI. gibt bei seinem letzten öffentlichen Auftritt zurück: „Ich steige nicht herab vom Kreuz. Ich bleibe in neuer Weise, im Dienst des Gebets, beim gekreuzigten Herrn.“

Heute nun findet das letzte Kapitel des Pontifikats statt. Benedikt und/oder der Vatikan haben ihrer Inszenierung bewusst ein berühmtes Drehbuch zugrunde gelegt: „Nachdem er ein letztes Mal zu seinen Kardinälen gesprochen hatte, führte er sie hinaus auf den Berg. Dort wurde er vor ihren Augen in einem Helikopter zum Himmel emporgehoben, und in einer Wolke entschwand er ihren Blicken.“ Der Text ist fast 2 000 Jahre alt; Autor ist Lukas (nach ihm ist auch ein Evangelium benannt). Wir haben aus den Aposteln lediglich die Kardinäle gemacht und das Fluggerät ergänzt.