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Ich versteh hier nur Deutsch

Texte in alter Schrift zu lesen, das lehrt ein Kurs an der Volkshochschule.SZ-Autorin Frances Scholz hat es ausprobiert. Mit verblüffenden Ergebnis.

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Von Frances Scholz

Vor mir liegt eine Briefkopie aus dem Jahr 1882. Die Sprache ist deutsch. Die Schrift auch. Und genau das ist mein Problem. Deutsche Schrift kann ich nicht lesen. Es ist Mittwoch 15 Uhr und ich sitze in dem Kurs „Alte deutsche Schrift lesen und schreiben lernen“ in der Bautzener Volkshochschule. Und meine Lehrerin Dr. Uta Marquardt gibt mir und den anderen sieben Teilnehmern die Aufgabe, diesen Text anzuschauen und dann gleich vorzulesen. So sehr ich mich auch bemühe irgendein Wort aus diesem Brief zu entschlüsseln, schaffe ich es doch nicht. Nicht einmal das deutsche Alphabet, welches unsere lateinischen Buchstaben darunter stehen hat und so der Übersetzung dienen soll, hilft mir. Und ich denke mir „Diese Schrift wirst du niemals lesen können“. Verzweifelt schiebe ich den Text zur Seite.

„Welches Wort fällt dir denn schwer“, fragt meine Nachbarin Christine Ihle, der es viel leichter zu fallen scheint. „Ich kann nicht mal das erste Wort lesen“, flüstere ich ihr zu. „Am besten ist du versuchst jedes Wort rückwärts zu lesen und suchst dir dann im Alphabet die Buchstaben nacheinander raus“, schlägt sie mir vor. Und tatsächlich schaffe ich es wenigstens ein paar Worte lesen zu können.

Jetzt beginnen die anderen nacheinander vorzulesen. Absolut flüssig. Ich bin überrascht. Doch es gibt einen Grund, warum die anderen Teilnehmer besser zu sein scheinen als ich. Sie waren letzte Woche schon im Kurs. Insgesamt dreimal treffen sie sich. Dann sollte man zumindest gute Grundkenntnisse erworben haben. „Dieser Kurs ist erstmal ein Einstieg. Es kommt auch immer auf die Vorkenntnisse jedes Einzelnen an, wie gut man zurecht kommt. Das Wichtigste ist jedoch, dass man sich an solche Kurrenttexte traut. Viele bekommen durch den Kurs mehr Sicherheit“, erklärt Lehrerin Dr. Uta Marquardt.

Seit Herbst 2011 gibt sie den Kurs an der Volkshochschule in Bautzen. Die Historikerin findet alte deutsche Texte sehr spannend und freut sich über die gute Resonanz auf ihre Kurse. „Jeder hat eine andere Motivation hier her zu kommen. Viele betreiben Ahnenforschung und da braucht man Kenntnisse zur deutschen Schrift“, erklärt die 42-jährige Dresdnerin.

Auch meine Banknachbarin Christine Ihle hat ihren ganz persönlichen Grund, warum sie diesen Kurs besucht. „Ich habe einen alten Brief von meinem Großvater gefunden aus dem Jahr 1950. Diesen möchte ich lesen können. Nach der ersten Unterrichtsstunde letzte Woche, konnte ich schon einiges verstehen. Außerdem habe ich mit Ahnenforschung angefangen und da man viel in Archiven sucht, braucht man die deutsche Schrift “, sagt die Rentnerin aus Burk.

Geduld ist am wichtigsten

Unterdessen legt uns Uta Marquardt schon den nächsten Text vor. Ein landwirtschaftlicher Text. Jetzt hat mich der Ehrgeiz gepackt und ich versuche mein Glück. Immer wieder frage ich Christine Ihle um Rat bei einzelnen Wörtern. Rund zwanzig Minuten vergehen. Fünf Zeilen schaffe ich in dieser Zeit. Ein Blick zu meiner Nachbarin verrät, dass sie die ganzen 26 Zeilen über Witterung, Temperaturen, Aussaat und Tierkrankheiten, in dieser Zeit übersetzt hat.

„Es ist ganz wichtig Geduld mit sich zu haben. Vielen fällt es schwer von der normalen lateinischen Schrift auf die alte deutsche Schrift umzuschalten. Es kommt auch nicht auf jedes einzelne Wort an. Man stößt immer mal auf Begriffe, die einem unbekannt sind. Man darf sich davon nicht irritieren lassen“, sagt Dr. Uta Marquardt.

Eine, die das schon sehr gut beherzigt, ist Regine Schliep. Sie sitzt neben Christine Ihle und hat auch beruflich mit Kurrentschrift zu tun. „Ich bin Bauingenieurin und bin durch Akten oft mit der alten Schrift konfrontiert“, sagt die Kamenzerin. Doch es gibt noch einen Grund für ihr Interesse. „Ich stamme aus der alten Handwerkerfamilie Hantsche aus Prietitz. Es gibt viele Akten von unseren Vorfahren in Kurrentschrift. Der Betrieb wurde 1852 gegründet. Jetzt haben wir Dokumente entdeckt, die ein noch früheres Bestehen belegen könnten. Das ist alles sehr spannend“, sagt Regine Schliep.

Der nächste Brief hat eine sehr liederliche Handschrift. Viele der Teilnehmer stöhnen darüber. Ich auch. Doch langsam bekomme ich einen Blick für die Kurrentbuchstaben. Es sieht schlimmer aus als es ist. Ich schaffe es nicht nur zu übersetzten, sondern auch den Inhalt zu verstehen. Es handelt sich um eine Beamtenmeldung, in der ein Amtshauptmann der Stadt Grimma verwiesen wird. Ich bin erstaunt, wie schnell ich ein Gefühl dafür entwickelt habe. Und das nur innerhalb von zwei Stunden.

In dieser kurzen Zeit habe ich viel gelernt und gemerkt, dass die Kurrentschrift ein wichtiges Kulturgut ist. Obwohl sie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr verwendet wird, sind viele alte Schriftzeugnisse darin geschrieben. Für mich war dieser Kurs eine spannende Reise in die Vergangenheit und unsere Geschichte. Und den Text von 1882 konnte ich dann zu Hause auch noch übersetzen.