Von Manfred Gärtner
In den 1960er Jahren erschien auf der Kinoleinwand ein blutjunges Indianermädchen auf dem Rücken eines edlen Mustangs und eroberte vor allem die jugendlichen Kinogänger schneller als im Sturm. Auch noch heute finden die zahlreichen Wiederholungen jener Streifen guten Zuspruch. Das ebenso wild sie sanft erscheinende Mädchen trug lange, schwarze Zöpfe und ein malerisches Indianerkleid. Sie war Winnetous Schwester Nscho-tschi, was „schöner Tag“ bedeutet.
Jenseits der filmischen Indianerwelt hörte die Schöne auf den Namen Marie Versini. Sie ist Französin, geboren 1940. Zu ihrem siebenten Geburtstag erhielt sie ein Indianerkostüm und spielte mit Geburtstagsgästen Nscho-tschi, Winnetou und Old Shatterhand. Ihr Vater hatte die Story erzählt. Damals hätte sie sich nicht vorstellen können, dass sich ihr Kindertraum 16 Jahre später erfüllen würde. An der Seite von Pierre Brice und Lex Barker drehte sie den Film „Winnetou I“, in dem sie die Schwester des großen Häuptlings Winnetou spielte. Drehort war im Mali-Alan-Gebirge in Jugoslawien. Wegen ungünstiger Umstände wurde mit der Aufnahme der Sterbeszene begonnen. Nach der Mayschen Buchvorlage wurde sie von einem Schurken erschossen. „Es gibt nichts Schlimmeres, als eine Filmrolle mit dem Tod der Figur zu beginnen“, äußert sich die Schauspielerin.
Viele Jahre sind vergangen, Marie Versini hat noch in vier weiteren Karl-May-Filmen mitgespielt und besetzte Rollen in solchen Filmstreifen wie „Mitsou“, „Paris Blues“, „Das schwarz-weiß-rote Himmelbett“, „Kennwort: Reiher“, „2 mal 2“ im Himmelbett“, „Ferien mit Piroschka“, „Liebesnächte in der Taiga“. Einen ebenso guten Namen machte sie sich durch zahlreiche Theateraufführungen und Fernsehproduktionen. Mit der ADAC-Reisewelt kehrte sie als Ehrengast nach 40 Jahren 2002 an den Drehort ihres ersten May-Films zurück. Direkt bis zu dem Felsblock, wo sie in den Armen Old Shatterhands verschied, konnten die Reiseteilnehmer jedoch wegen Verminung nicht vordringen, denn in Kroatien und Montenegro war Krieg.
Nun hat Marie Versini unter dem Titel „Ich war Winnetous Schwester – Bilder und Geschichten einer Karriere“ ein autobiografisches Buch beim Karl-May-Verlag Bamberg-Radebeul im Gewand der echten Grünen Bände großformatig herausgegeben, das auch in der Villa „Shatterhand“ erhältlich ist.
Sie erzählt in lockerer Weise ihre Lebensgeschichte, von schicksalhaften Begegnungen und Freundschaften mit Weltstars, von „verrückten“ Regisseuren und gefährlichen Drehs in Kroatien und Montenegro. Der zum 90. Geburtstag des Verlages erschienene Band enthält viele bisher unveröffentlichte Schwarz-Weiß- und Farbfotos. Er ist unterhaltsam für jedermann, ein Glücksfall für Filmnostalgieker und Indianerfans.
Wie sagte doch Marie Versini bei der Buchsignierung: „Nscho-tschi hat mich mein ganzes Leben begleitet. Sie hat mir meine schönste Rolle gegeben. Jetzt schenkt sie mir mein erstes Buch.“