SZ +
Merken

„Ich wollte ein Zeichen setzen“

Wende. Carola Fünfstück gehörte zu den Gründern der Arbeitsgemeinschaft Vorschulkind – einem der ersten freien Träger im Landkreis.

Teilen
Folgen

Von Jan Lange

Eigentlich wollte Carola Fünfstück nach ihrer Lehre als Industriekauffrau Außenhandel studieren. Doch die Betriebsleitung des Neugersdorfer Textilmaschinenbaus verweigerte ihr die Delegation zum Studium. Als mögliche Gründe für die Ablehnung bezeichnet die gebürtige Eibauerin ihren familiären Hintergrund – war doch ihr Vater Bäckermeister und damit in den Augen der Staatsmacht „Privatkapitalist“ – und den Austritt aus FDJ und Deutsch-Sowjetischer Freundschaft während der Lehrzeit.

Die damals 19-Jährige stand also vor der Frage: Was nun? „Ich wollteeiner gesellschaftlich wichtigen Tä-tigkeit nachgehen, die aber außerhalb sozialistischer Bevormundung lag“, erzählt sie.

Und so landete Carola Fünfstück im Katharinenhof Großhennersdorf. Eine völlig neue Welt für die junge Frau, denn zu jener Zeit gab es noch Schlafsäle für bis zu 30 Behinderte mit nur einer einzigen Nasszelle. War sie nach eigenen Worten zuvor „ziemlich naiv religiös“, hielten einige der für sie bis dahin geltenden Glaubenssätze der im Katharinenhof erlebten Realität nicht mehr stand.

Die Erfahrungen in Großhennersdorf bildeten die „Wurzel“ für das in der Wendezeit erarbeitete integrative Kindergartenkonzept, also einer gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder. Dem vorausgegangen war die Gründung der Arbeitsgemeinschaft Vorschulkind, zu deren Vorsitzende die heute 44-Jährige gewählt wurde. „Kritisch sahen wir vor allem die sozialistische Kindererziehung mit ihren militärischen Inhalten“, erklärt Carola Fünfstück. Per Eingabe ans Volksbildungsministerium setzte sich der Verein u. a. für die Abschaffung des Wehrkundeunterrichts ein. Das daraufhin angesetzte Treffen mit Vertretern vom Rat des Kreises war allerdings von keiner richtigen Gesprächsatmosphäre geprägt, sondern glich eher einer Anklage.

Die militärischen Inhalte bei der Erziehung im Kindergarten veranlassten die dreifache Mutter auch, nach der Geburt des ersten Kindes ihre berufliche Karriere einige Jahre zu unterbrechen. „Ich wollte sie nicht der sozialistischen Gemeinschaftserziehung aussetzen.“

Mitte der 80er Jahre begann sie eine Fernausbildung für kirchliche Kinder- und Jugendarbeit und übernahm gleichzeitig Aufgaben in der evangelischen Kirchgemeinde. „Für mich war dies der Weg, mich mit den in der Großhennersdorfer Zeit auftretenden Zweifeln auseinander zu setzen“, resümiert sie. In Erinnerung bleiben ihr die Jugendpfingsttreffen, zu denen in allen Städten Demonstrationen stattfanden. „Wir entschieden, daran mit eigenen Plakaten teilzunehmen, auf denen stand: Ich bin nicht mehr bereit zu hassen.“

Seit 1997 ist Carola Fünfstück beim Verein „Albatros“ in der Zittauer psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle tätig, nachdem sie zuvor ein Fernstudium der Sozialpädagogik absolviert hatte. Mit Blick auf die Wendezeit steht für die 44-Jährige heute fest: „Es war wichtig, sich zu Wort zu melden und Zeichen zu setzen.“