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„Ihre Fahrkarte bitte“

Seit einem Jahr führt die VGM verstärkte Kontrollen in ihren Bussen durch. Die SZ fuhr mit. Ohne Fahrkarte.

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Von Robert Reuther

Es ist nur ein kurzer Satz. Die Reaktionen darauf aber decken fast die gesamte Bandbreite menschlicher Gefühlsregungen ab. Von Gleichgültigkeit über Desinteresse, von Wut und Ärger bis hin zu Angst kommt alles vor: „Guten Tag, die Fahrkarten bitte.“ Mit diesem Satz stellen sich die Kontrolleure Kai* und Richard* grundsätzlich vor. Im neutralen Ton, nie unfreundlich. Um 12.12 Uhr steigen die beiden Fahrkartenkontrolleure am Busbahnhof Riesa in die Buslinie B in Richtung Weida ein. Ein kurzer Blick zum Fahrer, ein Nicken zur Begrüßung. Man kennt sich.

In der Riesaer Buslinie B kontrolliert Kai eine Frau mit ihrer Enkelin.
In der Riesaer Buslinie B kontrolliert Kai eine Frau mit ihrer Enkelin.

Keine fünf Sekunden später sprudelt er schon wieder aus ihnen heraus, der Satz. Kai will die Fahrscheine der sieben Fahrgäste sehen. Seine Berechtigung dafür ist gerade einmal so groß wie eine Scheckkarte. Darauf prangt sein Foto, ein grüner Schriftzug weist ihn als Mitarbeiter der Verkehrsgesellschaft Meißen aus. Seinen Namen sucht man vergebens. Kai ist lediglich eine Nummer. Er hat die 006. „Die 007 wie James Bond wäre mir lieber“, sagt der 33-Jährige und lacht.

310 Schwarzfahrer ertappt

Dabei hat seine Reduzierung auf eine Nummer einen ernsten Hintergrund. Anonymität wird groß geschrieben in seinem Geschäft. „Ich weiß, dass mein Job bei den Menschen unbeliebt ist. Ich habe keine Lust, dass jemand herausfindet, wo ich wohne und aus Rache meine Blumenbeete zertrampelt oder den Briefkasten sprengt“, sagt der Dresdner Familienvater. Erst vor zwei Wochen hätte eine Kollegin nach einem Gerichtsprozess gegen einen Schwarzfahrer nur unter Polizeischutz den Saal verlassen können. Der Schwarzfahrer hatte sie wüst bedroht.

Kai weiß, wovon er spricht. Seit zehn Jahren ist er Fahrkartenkontrolleur bei der Firma Götz in Dresden. Er ist einer von 40 Mitarbeitern, die in den Bussen und Bahnen nach einem gültigen Fahrausweis fragen. Seit einem knappen Jahr kümmert sich das Unternehmen auch um die VGM. Bis zum Jahresende 2012 haben sie bei ihren Kontrollen dabei 310 Menschen ohne gültigen Fahrausweis ertappt. Kai vermeidet den Begriff Schwarzfahrer. „Für uns sind alle erstmal nur ohne Fahrschein unterwegs. Das muss ja nicht mutwillig sein“, sagt Kai. Fest stehe nur, dass es den klassischen Schwarzfahrer nicht gebe. Äußerlichkeiten lassen nicht darauf schließen, ob jemand eine Fahrkarte habe oder nicht. Die Bandbreite durchlaufe die gesamte Gesellschaft. Vom reichen Geschäftsmann in Anzug und Krawatte über den knausrigen Rentner bis hin zu finanziell abgebrannten Jugendlichen – alles sei dabei.

Richard hat beispielsweise einmal eine 85-jährige Rentnerin erwischt. Es war Spätherbst. Sie schob ihren Rollator in den Bus am Puschkinplatz und stempelte den Fahrschein ab. Allerdings war der bereits vom Februar. „Sie hat den immer wieder gestempelt. Der Abschnitt war schon ganz schwarz. Das war pure Absicht“, sagt der 28-jährige Richard.

In dem Riesaer Bus sind bei dieser Fahrt hauptsächlich Senioren unterwegs. Die beiden Kontrolleure haben wenig zu tun. Keine zwei Minuten dauert die Abfrage der Fahrausweise. Alle sind gültig. Ihren Dienstbeginn hatten die beiden Dresdner jedoch bereits um 6.11 Uhr. Im Überlandbus ging es von Niederwartha nach Meißen und von dort nach Riesa. Kurz nach 8 Uhr haben sie ihre Runden durch die Stadt gedreht. Sie gehen dabei nach einem Plan vor, der ihnen von der VGM vorgegeben wird. Der ist immer anders. Manchmal können sie sich die Linien selbst raussuchen. Ein anderes Mal gibt die Zentrale die genaue Linie vor – oft sogar mit Uhrzeit. „Das ist ganz unterschiedlich. Für uns ist das gut. Es bedeutet Abwechslung“, sagt Kai. Bis zum Mittag haben sie drei Fahrgäste ohne Fahrschein gestellt.

Dabei vergeht selten ein Tag, an dem sie keinen Schwarzfahrer erwischen. In Dresden, weiß Kai, sind etwa zwei Prozent der kontrollierten Bus- und Bahnnutzer ohne gültigen Fahrschein unterwegs. Im Bereich der VGM dürfte das jedoch weniger sein, schätzt er. „Es hilft schon viel, wenn man beim Fahrer jedes Mal ein Ticket vorzeigen muss. Das schreckt ab“, sagt er.

Die beiden Kontrolleure sehen ihre Aufgabe deshalb auch vielmehr als Prävention. Sie wollen Präsenz zeigen und so die Leute zum Kauf einer Fahrkarte bewegen. „Wir sehen uns als Servicekraft. Wir beantworten auch Fragen zum Tarifsystem. Und am Abend bieten wir den Gästen durch unsere Anwesenheit das Gefühl von Sicherheit“, ergänzt Richard.

Die Zwei sind mittlerweile auf der Linie A1/A2 unterwegs. Die werden sie den ganzen Nachmittag lang kontrollieren. Ein Schwarzfahrer geht ihnen in dieser Zeit aber auch hier nicht ins Netz. Ohnehin sind die Riesaer aus Sicht der beiden Dresdner recht brav, was das Schwarzfahren betrifft. Erst einmal mussten sie in elf Monaten die Polizei rufen. Die Ausreden von Fahrgästen ohne Fahrschein seien aber auch hier gleich. Oft hören sie: „Habe ich vergessen“, „Finde ich gerade nicht“, „Das mache ich sonst nie“ oder „Ich hatte kein Kleingeld.“

Bedrohungen kommen vor

Meistens läuft es glimpflich ab, wenn einer ertappt wird. Immerhin muss nicht jeder gleich 40 Euro Bußgeld zahlen oder wird gar angezeigt. „Da ist viel Ermessensspielraum dabei“, sagt Kai. Aber auch er kennt Situationen, die ausarten. Er wurde schon oft beschimpft. Er nimmt das aber nicht persönlich. „Wer 40 Euro zahlt, der hat auch mal das Recht, sauer zu sein. Aber man lernt da schon viel über die Menschen“, sagt er. Doch auch er wurde schon bedroht, musste vor Gericht aussagen. Er versuche immer hartnäckig, die Betroffenen zur Einsicht zu bringen – immer verbal. „Wenn eine Situation zu eskalieren droht, dann breche ich ab. Ich habe Frau und Kind zu Hause, die will ich abends wiedersehen. Die Gesundheit geht vor“, betont Kai. Er verfolge auch keinen zu Fuß. Man stelle sich vor, sagt Richard, was dann in der Zeitung stehen würde, wenn der Flüchtige überfahren würde: „Fahrkartenkontrolleur hetzt Schwarzfahrer in den Tod“. Das wolle er nicht. Deshalb setzen die beiden auf reden, reden, reden.

In der Line A1 müssen sie das nicht. Jeder hat seinen Fahrschein dabei. Es ist ein ruhiger Dienst. „Nur ein bisschen kalt. Ich freue mich schon auf den Sommer. Da macht es Spaß. Auch die Menschen sind dann besser drauf“, sagt Kai. Sein Arbeitstag endet dort, wo er begonnen hat, um 17.20 Uhr in Niederwartha. Erst am nächsten Morgen heißt es dann wieder: „Guten Tag, ihre Fahrkarte bitte“.