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Im Fall Gurlitt bleibt vieles offen

14 von 1.500 Werken aus dem Kunstfund Gurlitt sind Nazi-Raubkunst und wurden zurückgegeben. Was passiert mit den ungeklärten Fällen?

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Um die Person Cornelius Gurlitt wie um die einst von ihm gehütete Sammlung gibt es immer noch mehr offene Fragen als klare Erkenntnisse.
Um die Person Cornelius Gurlitt wie um die einst von ihm gehütete Sammlung gibt es immer noch mehr offene Fragen als klare Erkenntnisse. © dpa

Kein Kunstthema bekam in den vergangenen Jahrzehnten so große mediale Aufmerksamkeit wie die Entdeckung der privaten Sammlung von Cornelius Gurlitt in München im November 2013. Schnell machte der Verdacht öffentlich die Runde, zahlreiche Werke könnten Nazi-Raubkunst sein. International renommierte Kunstwissenschaftler haben inzwischen die Herkunft eines Teils der 1.500 Werke aus der Sammlung Gurlitt geklärt, die entweder restituiert wurden oder vom Kunstmuseum Bern übernommen werden. Nun liegt der Forschungsbericht zum „Kunstfund Gurlitt“ vor. Er ist in der Schriftenreihe „Provenire“ des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste Magdeburg (DZKM) erschienen. Über Ergebnisse und neue Erkenntnisse sprachen wir mit dem Provenienzforscher Gilbert Lupfer, seit 2007 Professor für Kunstgeschichte an der TU Dresden und seit 2017 wissenschaftlicher Vorstand des DZKM.

Herr Lupfer, erinnern wir uns an den November 2013, als die Öffentlichkeit eher zufällig von der Existenz der Sammlung Gurlitt erfuhr. Den Behörden war das Konvolut schon länger bekannt. Was wäre damit ohne Mediengewitter passiert?

Die Staatsanwaltschaft Augsburg verfolgte zunächst nur den Verdacht einer Steuerstrafsache gegen Cornelius Gurlitt und hätte vermutlich nur die üblichen juristischen Schritte unternommen, ohne den historischen Hintergrund der entdeckten Kunstwerke zu untersuchen. Dass dutzende Provenienzforscherinnen aus Deutschland, den USA und Israel hinzugezogen wurden, das wäre ohne öffentlichen Druck wohl kaum passiert. Hildebrand Gurlitt, der diese Kunstwerke zusammengetragen hatte, war sogar in Fachkreisen vor sechs Jahren noch eine relativ unbekannte Figur. Wer hat – außer vielleicht in Dresden und Zwickau – viel gewusst über den alten Gurlitt, der Kunst für Hitlers „Sonderauftrag Linz“ beschaffte und einer von vier Kunsthändlern in Nazi-Deutschland war, die mit der als „entartet“ diffamierten Kunst handeln durften?

Warum waren nach der Arbeit der Taskforce weitere, mehrjährige Forschungen nötig?

Man hatte am Anfang keine genaue Vorstellung und auch keine Erfahrung, wie lange die Arbeit an diesem Konvolut dauern würde, das durch die Entdeckung des Salzburger Hauses von Cornelius Gurlitt ja noch größer wurde. Der Kunstfund Gurlitt ist ein sehr heterogener Bestand mit einigen wenigen Spitzenstücken, aber keine konsequent aufgebaute, hochkarätige Sammlung. In der Mehrzahl handelt es sich um Druckgrafik, darunter unbedeutende Massenware, mit der man anders umgehen muss als mit einem Gemälde von Claude Monet. Was bei Hildebrands Sohn Cornelius von der Sammlung übrig geblieben war, hat mit vielen Zufällen zu tun, und es gibt einige Kunstwerke, die aus altem Familienbesitz stammen. Es gibt Kunstwerke, die Hildebrand Gurlitt als professioneller Kunsthändler erworben hatte. Darunter sind Werke der sogenannten „entarteten“ und der Nazi-Raubkunst.

Gilbert Lupfer leitet das Provenienzforschungs-, Erfassungs- und Inventur-Projekt „Daphne“ in Dresden.
Gilbert Lupfer leitet das Provenienzforschungs-, Erfassungs- und Inventur-Projekt „Daphne“ in Dresden. © SKD

Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Für die Öffentlichkeit dürfte die Erkenntnis, dass es sich beim Kunstfund Gurlitt nur in vierzehn Fällen um nachgewiesene Nazi-Raubkunst handelt, überraschend gewesen sein. Wichtig ist aber auch die Erkenntnis, dass Provenienzforschung langwierig, aufwendig und schwierig ist und am Ende vieles offen bleiben muss, weil es keine Quellen oder Archivmaterialien mehr gibt. Oder weil die Kunstwerke nicht genügend individuelle Merkmale aufweisen, um sie einem Vorbesitzer zweifelsfrei zuzuordnen. Das ist vor allem bei Druckgrafiken, die in hohen Auflagen hergestellt wurden, der Fall.

Ergeben sich daraus neue Aufgaben, die über den Fall Gurlitt hinausgehen?

Bisher hatte noch niemand erforscht, wie Kunsthändler in Frankreich unter deutscher Besatzung agierten. Dieses Kunst-Verschiebesystem der 1940er-Jahre in Paris war ein völlig überhitzter Markt. Mit welchen Methoden wurde dort gedealt? Wie wurden die Ausfuhren und die Transporte aus Paris nach Deutschland abgewickelt? Nicht nur Hildebrand Gurlitt hat in Paris mit Strohmännern und Decknamen gearbeitet. Dank der Zusammenarbeit mit französischen und niederländischen Kollegen sind wir ein gutes Stück weitergekommen, um dieses riesige Kunstraub- und Kunsttransfersystem in der NS-Zeit besser zu verstehen und hoffentlich auch noch Fälle aufklären zu können.

Muss die Biografie von Hildebrand Gurlitt neu geschrieben werden?

Über Gurlitts junge Jahre in Dresden und sein frühes Wirken in Zwickau hat Meike Hoffmann ein sehr gutes Buch vorgelegt, da ist nichts wesentlich Neues hinzugekommen. Dass Hildebrand Gurlitt einer der vier privilegierten Händler war, die im Auftrag der Nazis mit „entarteter“ Kunst handeln durften, war schon vor 2013 bekannt. Aber mit welchen illegalen Methoden er in Paris gearbeitet hat und welch ein guter Netzwerker er war, welche Leute er kannte und wie er sie für seine Zwecke eingespannt hat, das ist weitgehend neu. Die Rolle, die er in Hitlers „Sonderauftrag Linz“ gespielt hat, wurde bisher von vielen Fachleuten unterschätzt. Auch stellte sich heraus, dass Hildebrand Gurlitt mit dem Wallraf-Richartz-Museum Köln und anderen Museen im Rheinland gute Geschäfte gemacht hat. Wenn er nach Paris reiste, legte er immer in Köln eine Zwischenstation ein. Neue Erkenntnisse gibt es auch zu Gurlitts Netzwerk in der Nachkriegszeit.

Bleiben wir in der Familie. War Cornelius Gurlitt nun ein Verbrecher oder das Opfer von staatlicher Willkür und der Medien?

Cornelius Gurlitt war eine ambivalente Person, der Nachfahre einer sehr prominenten Familie, der mit der Last des Erbes nicht zurechtkam und der wohl nie so richtig seinen Weg ins Leben gefunden hat. Ich halte ihn überhaupt nicht für einen Verbrecher, eher für einen Sonderling. Es ist nicht so selten, dass jemand vom elterlichen Erbe seinen Lebensunterhalt bestreitet und dabei schrullige Züge entwickelt. Das mediale Gewitter, das über Cornelius Gurlitt hereinbrach, hat ihn völlig überfordert. Was man ihm hoch zugutehalten muss: Kurz vor seinem Tod hat er genehmigt, dass in seinem Kunstbesitz geforscht wird. Er hat sich damit als Privatmann den Washingtoner Prinzipien unterworfen und dazu bereit erklärt, Raubkunst, die in seiner Sammlung entdeckt wird, zurückzugeben. Darauf wäre er vermutlich nicht von allein gekommen, aber er hätte das auch ablehnen können.

Enttarnte Raubkunst

Von den 1.566 Positionen des Kunstfunds Gurlitt haben 1.057 Positionen eine nicht eindeutig geklärte Provenienz im Zeitraum zwischen 1933 und 1945. Darin enthalten sind 407 Werke der Verdachtsgruppe „entartete Kunst“. Als unidentifizierbare Massenware gelten 55 Positionen. Insgesamt 14 Werke wurden als Nazi-Raubkunst eingeordnet. Restituiert wurden:

Max Liebermann, „Reiter am Strand“ aus der Sammlung David Friedmann

Henri Matisse, „Sitzende Frau“ aus der Sammlung Paul Rosenberg,

Camille Pissaro, „La Seine, vue du Pont Neuf, au fond le Louvre“ aus der Sammlung Max Heilbronn

Thomas Couture, „Portrait de jeune femmes assise“ aus der Sammlung Georg Mandel,

Adolph Menzel, „Inneres einer gotischen Kirche“ aus der Sammlung Wolffson-Cohen,

Paul Signac, „Quai de Clichy. Tremps gris (Opus 165) aus der Sammlung Gaston Levy,

Jean-Louis Forain, „Femme en robe du sir et une chaise“ und „Portrait des femme“ aus der Sammmlung Armand Doville.

Vier Arbeiten von Charles Dominique Joseph Eisen, Augustin de Saint Aubin und Anne Vallayr-Coster aus der Sammlung Deutsch de la Meurthe

Constantin Guy, „Amazone“ aus der Sammlung Armand Dorville

Das Restitutionsverfahren für Carl Spitzwegs „Klavierspiel“ aus der Sammlung Henri Hinrichsen läuft noch.

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Was passiert mit den über 1.000 ungeklärten Fällen der Sammlung Gurlitt?

Diese Objekte sind derzeit im Kunstbesitz des Bundes. Es ist eine politische Entscheidung, was damit geschieht. Das Kunstmuseum Bern will nur die Objekte übernehmen, bei denen die Herkunft geklärt ist und Raubkunst ausgeschlossen werden kann. Die Chance, die Dinge aufzuklären, wird natürlich mit den Jahren geringer. Wenn sich neue Ansatzpunkte ergeben, forschen wir weiter.

Wo steht Deutschland international in der Provenienzforschung?

Deutschland ist ganz klar Vorreiter, Österreich auch. Das ergibt sich aus der Geschichte und aus unserer historischen Verantwortung. Die internationale Vernetzung in der Provenienzforschung ist viel enger geworden seit Gurlitt. Es gibt beispielsweise intensive Kontakte nach Frankreich und in die Niederlande. Insgesamt hat sich die Situation positiv verändert, vor allem dort, wo sie nicht aus dem eigenen Museumsetat bestritten werden muss, sondern das DKZ fördernd einspringt. Zwar steht die Provenienzforschung nicht überall auf der Prioritätenliste ganz oben. Aber heute kann es sich kein Museumschef mehr erlauben, das Thema zu ignorieren.

Das Interview führte Birgit Grimm.