Von Manfred Müller
Vieles ausprobieren, aber nichts erzwingen“ rät Christof Ziemer nach dem Verabschiedungs-Gottesdienst einem jungen Mann, mit dem er ins Gespräch über berufliche Zukunftsaussichten gekommen ist. Das Meiste füge sich von ganz allein, sagt der Pfarrer - ohne vordergründig auf Gottvertrauen abzuheben. Eine Lebensweisheit, die Ziemer mit gutem Gewissen weitergeben kann - schöpft er sie doch aus seiner eigenen Biografie.
Pfarrer in der Kreuzkirche, Berater der Gruppe der 20 in Dresden, mehrere Jahre als Friedensstifter zwischen den Religionen in Bosnien und schließlich eine Pfarrstelle in Riesa-West - das sind nur einige wenige Stationen seines bewegten Lebens. Wie es nach seiner Verabschiedung in den Ruhestand weitergehen soll, weiß er noch nicht genau. Wahrscheinlich wird er nach Berlin gehen. Wahrscheinlich wird er an Seite seiner Frau wieder etwas Neues ausprobieren. Nichts erzwingen. Das hat er auch in Riesa nicht getan und trotzdem Spuren hinterlassen.
Schade, dass er weggeht“, bedauert Oberbürgermeisterin Gerti Töpfer. „Mit seinem Blick von außen hat er Dinge angesprochen, die sich kein Einheimischer zu sagen traute. Das war wichtig für unsere Stadt.“ Im Stillen hatte die Rathaus-Chefin gehofft, dass Ziemer nach der Verabschiedung in Riesa bleibt. Er sei einer, der die Wahrheit sagen kann, ohne Gräben aufzureißen. Etwa bei der aktuellen Diskussion um die Riesaer Denkmäler. „Christof Ziemer steht für Toleranz. Er sorgt dafür, dass einer dem anderen überhaupt erst einmal zuhört.“
Beim Gottesdienst am Sonntagnachmittag ist die Gröbaer Kirche bis in die Emporen hinauf gefüllt. Christof Ziemer predigt vom gelähmten Bettler an der Tempelpforte, der die Apostel Petrus und Johannes um eine Gabe bittet und zwar kein Almosen, aber dafür die Fähigkeit zu laufen geschenkt bekommt. Ziemer spricht über Wunder, über die Vollmacht, die aus der Ohnmacht erwächst.
Er tut das mit wohl dosiertem Pathos, mit nuancenreicher Sprache und effektvollen Gesten. Vielleicht mit einem Anflug von Hintersinn, musste er doch in der atheistisch geprägten Stadt auch Niederlagen hinnehmen. „Er hat eine ganz besondere Gabe zu predigen“, sagt Christine Näther, die Vorsitzende Kirchenvorstandes. „Ehrlich, klug und herzlich, hin und wieder ziemlich unverblümt. Geschwafel bekamen wir jedenfalls nie zu hören, und davon hat die Gemeinde sehr profitiert.“
Mit Reinhilde Hrasky nahm auch die musikalische Seele der Kirchgemeinde Abschied vom aktiven Dienst. Fast 40 Jahre lang prägte die Kantorin die Gottesdienste mit einer seelenvollen und ausgewogenen Verbindung von überlieferter und moderner Kirchenmusik. Das Alte pflegen, ein Komma dahinter setzen und danach das Neue einbringen so umschreibt sie ihren Arbeitsstil.
„Dadurch hatte ich nie Probleme, junge Menschen für die Mitarbeit zu begeistern.“ Ihre Herzlichkeit, mit der sie Gläubige wie Konfessionslose einbezog und ausbildete ließ beim Abschieds-Gottesdienst schon mal ein paar Tränen über die Wangen der Laienmusiker rollen. „Der Chor hat sie gebeten, wenigstens nebenamtlich weiterzumachen“, sagt Sängerin Bärbel Bormann. „Wenn es gesundheitlich klappt, müssen wir vielleicht nicht ganz auf sie verzichten.“