Von Holger Matthies
Einmal erhielt Christoph Kretschmer einen Anruf aus Hamburg. Das war Anfang der 90er Jahre, kurz nach der Wende. Eine Firma, die Tauchartikel vertrieb, fragte an, ob Bedarf an ihren Produkten bestehe. Der Verwalter des Bautzener Taucherfriedhofs klärte die umtriebigen hanseatischen Händler darüber auf, dass er und seine Mitarbeiter weder Flossen noch Schnorchel oder Tauchermaske benötigten. „Das gab ein großes Gelächter am Telefon“, erinnert sich der 56-Jährige und schmunzelt.
Der Name Taucherfriedhof hat nichts mit Unterwassersport zu tun. „Bei seiner Gründung im Jahre 1523 erhielt er den Namen Gottesacker zur Heiligen Dreifaltigkeit“, weiß Christoph Kretschmer zu berichten. „Am so genannten Taucherwald bei Uhyst stand damals eine Kapelle, die der Stadt Bautzen gehörte. Die demontierte man und stellte sie hier auf dem Friedhof wieder auf.“ Fortan hieß das Gräberfeld Gottesacker zum Taucher. Die Bezeichnung Taucherwald sei eine Eindeutschung des sorbischen „stuchwy les“, was so viel wie „dunkler Wald“ bedeutete, erklärt Friedhofsverwalter Kretschmer.
Seit nunmehr 15 Jahren ist er für den Taucherfriedhof verantwortlich. Er hat Gärtner gelernt und später Gartenbau studiert. Die fachkundige Hand zeigt sich bei der Gestaltung des 7,9 Hektar großen Areals. Es ist nicht möglich, den Friedhof von vorne bis hinten zu überschauen. Immer wieder schirmen Hecken, Sträucher und Bäume Grabstellen und Wege voneinander ab. „Diese Anpflanzungen sind bewusst so gestaltet“, sagt Christoph Kretschmer. „Wir wollten Räume schaffen, wo Trauernde Ruhe finden und auch mal unbeobachtet weinen können.“
Der Friedhof im Winkel von Löbauer Straße und Ziegelwall ist besonders reich an Epitaphien, das sind auf Steintafeln verewigte Grabinschriften. „Leider befinden sich viele der Tafeln in einem desolaten Zustand“, bedauert Kretschmer. „Schuld daran ist der so genannte Sandsteinfraß, der den Stein zerstört.“ Für den Erhalt der Tafeln sei man auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Einige von ihnen haben Kretschmer und seine Mitarbeiter zum Schutz vor den Einflüssen der Witterung in zwei leeren Gruftstellen des nördlichen Grufthauses untergebracht.
In dem lang gezogenen Gebäude finden sich neun Grüfte nebeneinander. „Es soll die längste Gruftstraße nördlich der Alpen sein“, erzählt der Friedhofsverwalter. In den 90er Jahren wurde das zerfallene Bauwerk für damals 400 000 D-Mark saniert.
Hinterlassen 15 Jahre Arbeit auf dem Friedhof Spuren? „Es prägt einen schon, dass man die Endlichkeit des irdischen Daseins jeden Tag so deutlich vor Augen hat“, sagt Christoph Kretschmer. „Man denkt intensiver darüber nach.“ Nein, traurig mache es ihn nicht, eher nachdenklich. „Der Gedanke an den Tod wird ja heute meist ganz weit weg geschoben. Wenn er dann näher rückt, reagieren viele bestürzt. Irgendwann aber muss jeder das loslassen, was er in seinem Leben besessen hat.“